Eröffnung Ausstellung Kriegsgefangene

Volkstrauertag, Sonntag, 17. November 2024

 Wir sind überwältigt. Mit derart vielen Gästen und derart viel Zuspruch zu unserer Ausstellung über die Ergebnisse unserer Recherchen zum Lager für sowjetische Kriegsgefangene im Rehburger Forst hatten wir nicht gerechnet. Mehr als 120 Menschen drängten sich im Neuen Badehaus der Romantik Bad Rehburg. Viele haben uns gesagt, dass sie bald ein zweites Mal kommen wollen – um Platz, Zeit und Ruhe zu haben für die Inhalte.

 Die Manuskripte der Redebeiträge zur Eröffnung stellen Ihnen hier zur Verfügung: 

 

 

Gabriele Arndt-Sandrock als Mitglied unseres Arbeitskreises:

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

herzlich willkommen zur Eröffnung der Ausstellung „Kriegsgefangene in Rehburg-Loccum“. Volkstrauertag, ein Tag der Erinnerung. Wir denken an das Leid, das Kriege weltweit verursacht haben und bis heute verursachen.

Wir erinnern uns an die, die durch Kriege ihr Leben verloren oder großen Schmerz erfahren haben - an Soldaten, Zivilisten, aber auch an diejenigen, die in Gefangenschaft gerieten: Viele von ihnen lebten in großer Not, fern ihrer Heimat. Und viel zu viele starben und wurden namenlos begraben.

Im Namen des Arbeitskreises Stolpersteine Rehburg-Loccum danke ich Ihnen, dass Sie heute hier sind. Ihr Interesse zeigt, dass Ihnen die Geschichte unseres Ortes wichtig ist. 

 

Ein besonderer Dank gilt unseren Sponsoren. Ohne ihre Hilfe gäbe es diese Ausstellung nicht. Sie haben gezeigt, dass Erinnerungskultur auch heute wichtig ist. Dank Ihnen können wir ein fast vergessenes Kapitel unserer Geschichte zeigen.

 

Ohne die Unterstützung der Neuhoff-Fricke-Stiftung hätten wir diese Ausstellung nicht realisieren können.

Auf dem Weg zur Ausstellung haben wir großzügige Unterstützung erhalten von der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt, dem Landschaftsverband Weser-Hunte, der Bürgerstiftung im Landkreis Nienburg/Weser und dem Ehepaar Rosemarie und Dieter Isensee.

Schließlich danken wir der Kommunalarchäologie der Schaumburger Landschaft in Person von Dr. Daniel Lau und Ronald Reimann mit deren Unterstützung wir die Grabungen sach- und fachgerecht durchführen konnten.

Wir danken Ihnen allen sehr herzlich für Ihr Engagement.

 

Diese Ausstellung ist kein politisches Statement und auch kein Urteil über aktuelle oder vergangene politische Ereignisse.

Sie zeigt menschliche Schicksale. Schicksale von Soldaten, die aus ihrem Leben gerissen wurden. Viele erlebten unvorstellbare Härten. Auch hier, in Rehburg-Loccum.

 

Wir erinnern uns an diese Menschen, nicht, weil sie zu einer bestimmten Nation gehörten. Sondern weil sie Menschen waren. Der Krieg nahm ihnen Freiheit, Gesundheit und Heimat.

 

Bei der Vorbereitung dieser Ausstellung haben wir uns - spätestens mit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine - immer wieder mit einer Frage auseinandergesetzt. Sie wurde und wird uns von verschiedenen Seiten gestellt nämlich: „Warum kümmert ihr euch jetzt um die Russen?“.

Diese Frage wirft ein wichtiges Thema auf: Was bedeutet Erinnern? Wir meinen, dass Erinnern bedeutet, das Leid aller zu sehen – unabhängig von ihrer Herkunft.

 

Der heutige Volkstrauertag lädt uns ein, innezuhalten, nachzudenken und uns mit den universellen Erfahrungen von Leid, Verlust und menschlicher Würde auseinanderzusetzen.

Wenn wir uns um „die Russen“ kümmern, wie die Frage impliziert, dann tun wir das als Geste der Menschlichkeit.

Gedenken erfordert Empathie für das Schicksal aller, unabhängig von Herkunft, Nationalität oder historischen Feindschaften.

 

Ich bitte Sie, diese Ausstellung als Einladung zu sehen: eine Einladung, über Grenzen hinweg zu denken und die Perspektive des anderen wahrzunehmen. Lassen Sie uns gemeinsam daran erinnern, was Kriegsgefangene aller beteiligten Nationen erlitten haben, und ihre Geschichten als Mahnung und Verpflichtung verstehen, den Wert der Menschenwürde niemals aus den Augen zu verlieren.

Wir haben in Hitze, Regen und Kälte draußen im Forst archäologisch gegraben und gefunden, haben dokumentiert und fotografiert, in Archiven geforscht, recherchiert und vieles zusammengetragen. Und wir haben eine junge Künstlerin eingeladen, ihre Sicht auf unser Thema hier darzustellen.

Linn Bergmann wird Ihnen jetzt eine kurze Einführung dazu geben.

 

Anschließend wünsche ich Ihnen einen eindrucksvollen Rundgang durch die Ausstellung und danke Ihnen nochmals für Ihre Anwesenheit und Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

Linn Bergmann, Künstlerin:

 

Als ich vor knapp drei Jahren gefragt wurde, ob ich Lust hätte, einen künstlerischen Beitrag zu der Ausstellung beizutragen, hatte ich großen Respekt vor der Verantwortung, die diese Aufgabe mit sich bringt. Ich fragte mich, wie ich diesem großen wichtigen Thema überhaupt gerecht werden könnte. Ich, als junge Künstlerin, die keine direkten Berührungspunkte zur NS-Zeit hat. Was gibt mir das Recht, mich laut und öffentlich künstlerisch dazu zu äußern?

Diese Zweifel verflogen mehr und mehr. Mit der Zeit erkannte ich die Arbeit an der Ausstellung vor allem als eine große Chance, meinen Teil zur Erinnerungskultur beizutragen, die ich heute als wichtiger denn je empfinde.

Wenn ich hier über die Zeit des Nationalsozialismus spreche, komme ich nicht umhin, es mit der Gegenwart in Kontext zu setzen. Die erneute Wahl Donald Trumps, der erschreckende Aufschwung der AfD, die rechtsextreme Regierung Ungarns im Herzen Europas sind nur ein paar Beispiele, die ich hier anführen kann. Die Liste ist bedeutend länger. Und je länger sie wird, desto unbegreiflicher ist es für mich, wie es dazu kommen konnte.

Wie kann es sein, dass in dem Land, in dem ich geboren wurde und aufgewachsen bin, eine rechtsextreme Partei einen derartigen Aufschwung erfährt? Ausgerechnet in Deutschland? Wie kann es sein, dass es kaum einen Aufschrei zu dieser Entwicklung gibt? Wie kann es sein, dass die zeit des Nationalsozialismus in diesem Land zu einem blinden Fleck wurde? Diese Zeit darf kein blinder Fleck sein und ich sehe es in der Verantwortung einer jeden Person in Deutschland, gegen dieses gesellschaftliche Vergessen vorzugehen.

Vor einigen Wochen ist mir eine schlichte und einfache Erkenntnis in den Sinn gekommen: Meine Generation ist die letzte, die noch die Möglichkeit hat, mit Zeitzeug*innen zu sprechen und von ihnen zu lernen. Meine Generation trägt dadurch maßgeblich die Verantwortung mit, wie wir in Deutschland weiterhin mit den kostbaren Erinnerungen der vorherigen Generationen umgehen, ob wir sie vergessen oder sicher verwahren, um immer und immer wieder zu sagen, dass sich diese Zeit auf keinen Fall wiederholen darf. Meine Generation hat zurzeit die Möglichkeit, die Welt neu zu gestalten und definieren. Bevor in Thüringen und Sachsen gewählt wurde und sich mit den Wahlergebnissen herausstellte, dass genau die Menschen in meinem Alter zu einem erschreckend hohen Anteil AfD-Wähler*innen sind, hatte ich noch etwas Hoffnung auf einen politischen Umschwung. Diese Entwicklung bereitet mir Sorgen vor der Zukunft und macht mir Angst.

Umso wichtiger ist die Arbeit gegen das Vergessen von Gruppen wie den Stolpersteinen Rehburg-Loccum.

In meiner Zusammenarbeit mit der ehrenamtlichen Arbeitsgruppe habe ich so viel dazu gelernt. Ich habe viel über die deutsche Geschichte gelernt, die noch so eng mit der Gegenwart verbunden ist. Mir ist bewusster denn je geworden, wie tiefgreifend diese Zeit ist, und dass sie auf allen Ebenen der Gesellschaft ihre Spuren hinterlassen hat.

Ich durfte die Funde in meinen Händen halten, jeden einzelnen der Namen lesen und schreiben, die Opfer dieses Lagers im Forst waren. Dadurch erhielt ich die Möglichkeit, ihnen und ihrer Zeit näher zu kommen. Das empfinde ich als großes Privileg.

Es klingt so banal und schlicht, aber das Wichtigste, was ich gelernt habe ist, dass diese Zeit unter keinen Umständen in Vergessenheit geraten darf.

Diese Ausstellung ist für mich ein Ort gegen das Vergessen, für eine sichtbare Erinnerungskultur und somit auch ein Zeichen für eine lebenswerte Zukunft. Ausstellungen wie diese schenken mir Hoffnung, dass es dafür noch nicht zu spät ist. Und sie zeigen mir immer wieder, wie wertvoll und unglaublich wichtig die ehrenamtliche Arbeit von Vereinen wie dem Arbeitskreis Stolpersteine Rehburg-Loccum ist. Nicht zuletzt möchte ich dieser Gruppe für ihre Engagement danken und dafür, dass sie sich so sehr für eine Erinnerungskultur einsetzen. Ihr tragt damit so einen wichtigen Teil zu unserer Gesellschaft bei. Ich danke euch von ganzem Herzen und damit spreche ich auch für meine Generation. Eure Arbeit schenkt mir Mut und Zuversicht und lässt mich daran glauben, dass es viele weitere Menschen gibt, die sich gegen diskriminierende Strukturen unserer Gesellschaft einsetzen und stark machen. Ihr schenkt mir Hoffnung für unsere Zukunft.

Ich danke euch für euer Vertrauen in meine künstlerische Arbeit und meiner Umsetzung und Interpretation.

Alerta!

 

 

Grant Hendrik Tonne, Vorsitzender Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Niedersachsen:

 

Im kommenden Jahr 2025 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal.

Wir werden dann auf den verheerendsten Krieg der Menschheitsgeschichte zurückblicken.

In den vielen Beiträgen dazu werden wir uns erneut die Schreckenszahlen verdeutlichen:

Zigtausende Tote bei Bombenangriffen, Hunderttausende Tote an wenigen Tagen in blutigen Schlachten, Millionen Menschen, die in Lagern starben - 60 bis 70 Millionen Tote insgesamt.

Wir werden aber auch auf die Einzelnen schauen: Auf die Toten in der eigenen Familie oder aus dem eigenen Ort. Wir schauen auf bekannte Biografien und neu entdeckte, wir werden immer noch auf Schicksale schauen, die ungeklärt sind, immer noch auf Gräber, in denen unbekannte Tote liegen.

Und wir werden darüber reden, was Krieg und Gewaltherrschaft auch im Leben derjenigen angerichtet haben, was für dauerhafte Spuren eingebrannt worden sind bei denen, die überlebten.

Die Erlebnisgeneration jener Zeit schwindet. Eindrückliche Schilderungen werden nur noch selten persönlich weitergegeben. Immer häufiger ersetzen aufgezeichnete Interviews und Dokumentationen die Gespräche in der Familie oder in den Schulen.

Es geht aber noch weiter: 1) Immer häufiger schwindet auch die Anzahl derer, denen die schrecklichen Kriegsfolgen erzählt worden sind. 2) Immer häufiger treffen wir auf Menschen mit Migrationshintergrund, die im Laufe der letzten Jahrzehnte Teil unserer Gesellschaft geworden sind, aber eben nicht die Art und Weise des Erinnerns - gebaut um das Narrativ der Tätererfahrung - z.B. im Rahmen des Volkstrauertages kennen.

Das bedeutet für uns alle: Die Art und Weise des Erinnerns, des Gedenkens und vor allem des Transports unserer Verantwortung im hier und heute für Frieden und Demokratie muss weiterentwickelt werden. Ansonsten wird die Anzahl derer, die damit nichts mehr anfangen können immer größer.

Die Generation meiner Kinder ist nicht schuldig, sie ist weitgehend nicht mehr persönlich betroffen, aber sie trägt genauso wie wir Verantwortung. Und das müssen wir besser, intensiver und breiter vermitteln.

Es ist eben nicht egal, ob ich mich für den Frieden und die Völkerverständigung einsetze. Wer den Frieden bewahren will, muss sich dafür auch persönlich einbringen und darf es nicht anderen überlassen.

Dieser Auftrag aus unserer Geschichte stellt sich uns, unseren Kindern und den Kindeskindern.

Aus diesem Grund ist die Arbeit der Gedenkstätten in Niedersachsen und die des Volksbunds an und mit den Kriegsgräberstätten so wichtig, deshalb sind die Initiativen vor Ort wie des AK Stolpersteine so unverzichtbar. Dort, wo die Personen nicht mehr da sind, kommt den Orten eine umso wichtigere Aufgabe zu.

Die Aufgabe für uns alle wird sein, die Erlebnisse und Erkenntnisse jener Epoche weiterzugeben und sie uns immer wieder neu zu erarbeiten.

Genau hier setzt ihre wertvolle Arbeit vor Ort ein!

Geschehnisse rund um den 2.Weltkrieg sind nicht weit weg, sondern sie waren direkt vor unserer Haustür. Durch bemerkenswertes Engagement hier vor Ort sind sie endlich wieder erkennbar.

Ist das in 2024 eigentlich noch nötig?

Ja und dieses Ja bezieht sich auf mehrere Ebenen:

1) Es geht um die Aufklärung von menschlichen Schicksalen. Menschenwürde ist nicht aufteilbar – sie ist nicht unterschiedlich gewichtet. Sie gilt nicht für den einen mehr und den anderen weniger. Und deshalb gilt es auch fast 80 Jahre nach dem Kriegsende die persönlichen Schicksale aufzuklären und den Toten ihren Namen zurückgeben.

2) Die Verbrechen fanden überall bei uns statt. Direkt nach dem 2.Weltkrieg wurde sehr häufig versucht, den menschenverachtenden Umgang mit Kriegsgefangenen weit weg zu reden, von dem man nichts wusste.

Das war und das ist falsch. Die gut erhaltenen Unterlagen, die genaue Dokumentation belegen ohne Zweifel, dass je länger der Krieg dauerte umso mehr Kriegsgefangene bis in das kleinste Dorf bei uns gezwungen worden, um dort harte Arbeit zu verrichten.

Mir geht es dabei nicht um persönliche Schuld derjenigen, die Kriegsgefangene bei sich auf den Höfen oder in den Unternehmen gehabt haben. Mir geht es aber sehr wohl um die persönlichen Schicksale der Gefangenen und dem Bewusstsein, dass harte körperliche Arbeit, Zwang, Mangelernährung und brutale Ausbeutung bis hin zum Tod auch Teil unserer lokalen Geschichte hier vor Ort und damit Teil unserer Verantwortung ist.

Wenn es sich in diesen Fällen um russische Gefangene handelte, war der zutiefst unwürdige Umgang noch einmal umso schlimmer und menschenverachtender.

3) In 2024 wird zunehmend der Eindruck erweckt, dass diese Ereignisse weit weg sind, quasi erledigt. Rechtspopulisten und Rechtsextreme fordern Schlussstriche.

Unter unsere Verantwortung kann man keinen Schlussstrich ziehen.

Mit dieser wertvollen Arbeit hier vor Ort wird eindrucksvoll gezeigt, warum das so ist.

4) Vernichtungskampf von Hitler gegen die russischen Soldaten, zunächst gar nicht als Kriegsgefangene in das Reichsgebiet, aus der Not heraus dann doch zugestimmt.

Unter erbärmlichsten Umständen zur Arbeit gezwungen – 5,3-5,7 Mio Kriegsgefangene, zwischen 2,6 und 3,3 hier gestorben.

Immense Bandbreite macht Forschungsarbeit mehr als deutlich.

Verbrechen an den russischen Kriegsgefangenen lange Zeit in der deutschen Erinnerungskultur kaum präsent.

Ihr Citizen Science Projekt daher aus vielfachen Gründen eine sehr wertvolle Arbeit.

Umso wichtiger ist für uns alle, das Erreichte zu verteidigen und zu bewahren. Sich immer wieder zu vergewissern, welche immensen Errungenschaften wir uns selber gegeben haben und diese wertzuschätzen. Dies erfordert neben einer Wehrhaftigkeit nach außen auch eine solche nach innen. Unsere Demokratie, die seit 75 Jahren Grundlage unserer Freiheit, unseres Wohlstands sowie des Friedens ist, muss geschützt und wertgeschätzt werden.

Dies gilt ebenso für die europäische Einigung und die internationalen Mechanismen zur Friedenssicherung und Friedensschaffung.

Nur so können wir dem Anspruch gerecht werden, der im Totengedenken des Volksbunds formuliert ist:

„Aber unser Leben steht im Zeichen der Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und Völkern, und unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen zu Hause und in der ganzen Welt.“

Frieden ist möglich!

Heidtorstraße 1
31547 Rehburg-Loccum

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