Schlussstrich unter Kriegerdenkmäler?

Grant Hendrik Tonne im Interview zum Volkstrauertag

Zum Volkstrauertag 2020 wollten wir von Grant Hendrik Tonne wissen: Sind Kriegerdenkmäler noch zeitgemäß?

 Er ist nicht nur Kultusminister und Vorsitzender der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten, zu der unter anderem die Gedenkstätte Bergen-Belsen gehört sondern hat  mit dem Vorsitz des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Niedersachsen auch ein Ehrenamt übernommen. Der Volkstrauertag, 1922 zuerst begangen, geht auf die Initiative des Volksbundes zurück. 

Herr Tonne, weshalb haben Sie sich entschieden, das Ehrenamt des Vorsitzes im Volksbund anzunehmen?

 

Der Volksbund ist einer der Verbände, der wie kein anderer dafür steht, Frieden zu vermitteln und Gedenken aus der Vergangenheit heraus in das Hier und Heute herüberzuholen. Daran möchte ich mitwirken und sehe es in einer Reihe zu meiner anderen Arbeit im Ministerium mit dem Schwerpunkt politischer Bildung und dem Stiftungsrats-Vorsitz.

 

Die Geschichte von Volksbund und Volkstrauertag ist untrennbar miteinander verbunden – und damit auch mit den vielen Ehrenmälern für Gefallene der Weltkriege. Kann Frieden vermittelt werden vor Denkmälern mit Stahlhelm, Eisernem Kreuz und Inschriften wie „Unseren Helden“?

 

Absolut – aber es muss erklärt werden! Was unmittelbar in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war, als ein Volkstrauertag eher ein Heldengedenktag war, hat sich richtigerweise sehr gewandelt. Heute wird viel Jugendarbeit gemacht. Auch bei der Aufgabe, Soldaten zu identifizieren und ihnen nicht nur einen Namen zu geben, sondern eine Geschichte.

 

Was bedeutet für Sie „ihnen eine Geschichte zu geben“? Lediglich Würdigung der menschlichen Schicksale oder kritische Auseinandersetzung?

 

Wir haben einen großen Schwerpunkt in die Auseinandersetzung mit der Täter-Opfer-Perspektive gesetzt. Was sehr häufig in ein und derselben Person vereint ist. Also eine kritische Auseinandersetzung. Auch mit den Fragen: Was macht Täter zu Tätern? Opfer zu Opfern? Wie handeln Menschen in Gewaltregimen und in Kriegssituationen? Und wo ist jemand „Held“ in solcher Geschichte?

Ich rate dazu, solche Auseinandersetzung auch in kleinen Kommunen zu beginnen, wo nahezu jeder jeden kennt. Und ebenfalls in der eigenen Familiengeschichte. Auch wenn man diese Person, der man auf der Spur ist, mit etwas ganz anderem verbindet. Einem ganz anderen Gesicht, ganz anderen Gefühlen. Selbst wenn es persönlich schwerfällt.

 

Was könnte die Konsequenz für die Denkmäler nach einer solchen Recherche sein?

 

Am vergangenen Sonntag war ich bei der Einweihung eines Mahnmals für alle Opfer des Nationalsozialismus in Nienburg. Dort ist es, meine ich, sehr gut gelöst worden. Das Mahnmal für die Gefallenen mit einer traurigen Mutter als Bild und einem Text in der Art von „Heldenhaft gestorben fürs Vaterland“ haben sie auf der Rückseite ergänzt. Haben geschrieben, dass an einem solchen Tod nichts Heldenhaftes und Vaterländisches ist und das Denkmal kommentiert. Direkt daneben steht nun ein Mahnmal für alle Opfer des Nationalsozialismus.

Das ist aber nur ein guter Weg von vielen. Ich befürworte auf jeden Fall, die Weltkriegs-Denkmäler nicht auszuradieren und wegzunehmen, sondern andere Formen zu finden. Das kann auch die Rede zum Volkstrauertag sein.

 

Das Publikum bei diesen Ansprachen zum Volkstrauertag gehört eher den älteren Jahrgängen an und wird von Jahr zu Jahr kleiner. Können Sie sich vorstellen, dort etwas zu verändern?

 

Ich werbe für die Veränderung der Abläufe am Volkstrauertag! Im nächsten Jahr wollen wir im Volksbund das Thema „geflohen, vertrieben, angekommen“ aufgreifen. Zu denjenigen, die Flucht, Gewalt erlebt haben in der Erinnerung des Zweiten Weltkrieges. Das erleben wir hier und heute doch genauso beziehungsweise haben es erlebt. Nach 1945 mit den Flüchtlingen aus den Ostgebieten. In den 1990er Jahren mit den Russlanddeutschen. 2015 mit den Menschen aus Syrien, Afghanistan, Irak, Iran. Das wollen wir kombinieren.

Mein Stellvertreter im Volksbund hat es in Osnabrück vorgemacht. Er hat den Volkstrauertag mit Geflüchteten gestaltet, die vor drei, vier Jahren hierhergekommen sind. Hat sie von ihren Erfahrungen erzählen lassen. Das veränderte den Kreis derjenigen, die sich von der Feier zum Volkstrauertag angesprochen fühlten.

Ein einfaches „Weiter so“ wäre kontraproduktiv. Die Feiern dürfen aber auch nicht wegfallen. Einer Schlussstrich-Debatte müssen wir uns energisch widersetzen.

 

Zum Abschluss noch eine Frage an den Kultusminister: Wie steht es um die politische Bildung in Schulen? Sie sagten, dass das einer Ihrer Schwerpunkte sei. Muss dieser Bildung dann mehr Zeit eingeräumt werden?

 

Die kurze Antwort darauf: Ja!

Wir werden im Frühjahr einen Grundsatzerlass zum Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung auf den Weg bringen. Ein wesentlicher Bestandteil dessen ist Demokratiebildung. Sie wird nicht nur eine Bitte an die Schulen sein, sondern verpflichtender Inhalt.

Weil wir wissen, wie groß die verpflichtenden Inhalte heute schon sind, räumen wir den Schulen damit aber die Chance ein, andere Inhalte herunterzufahren. Wir wollen den Schulen den Rücken stärken – und dort kann ich auch wieder eine Brücke zum Volksbund schlagen: Dort haben wir Bildungsreferenten, die auf die Schulen zugehen können und ihnen Angebote machen. Auch, um Lehrkräfte zu unterstützen. 

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