Wir erinnern an: Jakob (Albert) Vandebroek

Ein belgischer Kriegsgefangener in Rehburg

Vermutlich ist es der Kriegsgefangene Albert Vandebroek, der hier im Herbst 1941 die Loccumer Familie Kräft bei der Heuernte unterstützt.
Vermutlich ist es der Kriegsgefangene Albert Vandebroek, der hier im Herbst 1941 die Loccumer Familie Kräft bei der Heuernte unterstützt.

„Freitag, 14. November 1941; ein trockener kalter Tag. Unter Begleitung kommen sieben belgische Kriegsgefangene von Loccum nach Rehburg…“

Viele Jahre später beginnt der belgische Kriegsgefangene Jacob Vandebroek, genannt Albert, mit diesen Sätzen, die Erinnerungen an seine Kriegsgefangenschaft aufzuschreiben. Er ist einer von vielen Millionen Menschen etlicher Nationalitäten, die während des Krieges in Gefangenschaft gerieten, nach Deutschland transportiert wurden und dort dafür sorgen sollten, die Wirtschaft und die Versorgung der Bevölkerung am Laufen zu halten. Unerlässlich, um die Arbeitskräfte zu ersetzen, die zu Hause wegen der Fronteinsätze fehlten. Kaum eine Fabrik, ein Betrieb oder Hof, auf dem die Gefangenen nicht eingesetzt wurden.

 

Für sie, die Kriegsgefangenen, machte dabei manches einen Unterschied. Der Einsatzort spielte eine Rolle. Auf dem Land war die Versorgung oftmals besser als in den Städten. Einen Unterschied machte aber auch ihre Nationalität. Belgier wie Albert durften auf vergleichsweise anständige Behandlung hoffen, ganz im Gegensatz zu allen Gefangenen aus der Sowjetunion.

In ihrer unsäglichen Rassenideologie propagierten die Nazis lautstark, dass letztere „Untermenschen“ seien – wertvoll lediglich als Arbeitskräfte, nicht wertvoll genug, um sie durch ausreichende Essensrationen am Leben zu erhalten.

 

Freundschaften zu Rehburgern nach dem Krieg

 

Albert Vandebroek, der im November 1941 von Loccum nach Rehburg wanderte, gehörte zu den eher Glücklichen unter den Kriegsgefangenen. Auch bei ihm war nicht alles gut, was er in Deutschland erlebte. Von manchen Menschen fühlte er sich aber so gut aufgenommen, dass er Jahrzehnte nach dem Krieg noch zu Besuchen kam und Freundschaften pflegte.

Einer, der sich an ihn erinnern kann, ist Peter Kräft. Während des Krieges lebte der gebürtige Loccumer noch nicht, weiß aber sehr genau, dass Albert einmal jährlich zu seinen Eltern und Großeltern nach Loccum kam. Im Familienalbum hat Peter Kräft ein Foto von einer Heuernte in Kriegszeiten gefunden und ist sich nahezu sicher, dass der Mann, auf dessen Jacke und Hose KG für „Kriegsgefangene“ steht und der einträchtig mit Familie Kräft die Ernte einbringt, der Belgier Albert ist. Von Oktober bis November 1941 arbeitete Albert auf dem Hof der Familie Kräft.

Ein anderer, der oft von Albert erzählt hat, ist der verstorbene August Lustfeld, der sich als Bürgermeister wie auch als Heimatforscher einen Namen in Rehburg gemacht hat. Auch er hielt viele Jahre Kontakt zu Albert, aus seinem Nachlass haben wir die Erinnerungen, die Albert aus seiner Kriegsgefangenschaft zu Papier brachte und die wir hier in Auszügen wiedergeben: 

 

Alberts Erinnerungen

 

 „Freitag, 14. November 1941; ein trockener kalter Tag. Unter Begleitung kommen 7 belgische Kriegsgefangene zu Fuß von Loccum nach Rehburg.

Ich war mit dabei, aber mit gemischten Gefühlen. Beim Abschied in Loccum hatte mir die liebe Frau Kräft anvertraut: „Albert, die Rehburger… Ein Volk für sich und es riecht immer nach Torf…“ Sie gab mir noch ein Butterbrot mit, denn wer weiß, wie ich zurechtkomme.

Gegen 10 Uhr wurden wir am Rehburger Raths-Keller durch den Kommandoführer in Empfang genommen. Unser Lager war ein langes schmales Gebäude hinterm Raths-Keller. In der vorderen Hälfte lebten die Serben und hinten, zwei Stufen tiefer, wohnten wir Belgier und Franzosen.

Der Kommandoführer entschied, ich solle eingesetzt werden bei Frau Kick, damalige Hausnummer 169. Jemand brachte mich zur Haustür. Ich ging hinein und befand mich auf einer sehr ungemütlichen Diele. Irgendwo von hinten kam ein krumm gearbeitetes Frauchen und begrüßte mich mit: „Na, du bist mein neuer Gefangener?“ Ich bejahte es. „So, dann komm mal mit.“ Sie ging vor mir her in den Küchenraum, setzte sich und schälte weiter die Kartoffeln. Ich blieb entsetzt auf der Schwelle stehen: ein viereckiger Raum mit Wänden so schwarz wie ein Schornstein, fast ohne Tageslicht und bequalmt vom kochenden Viehfutterkessel. Unmöglich.

Das Frauchen – die ich ab jetzt „Oma“ nennen werde – fragte mich, ob ich Hunger habe. Nein danke, bei dem Anblick. Übrigens, ich hatte noch mein Loccumer Butterbrot.

Oma meinte, ich könne vor dem Mittagessen noch den Kuhstall ausmisten. Im Stall standen drei Kühe und ein paar Rinder, aus Mangel an genügend Stroh mit Heide ausgestreut.

Landwirtschaft war mir nicht fremd. Ich schaute mich überall um und stellte fest: Hier fehlt schon seit Jahren eine tüchtige Männerhand.

Beim Mittagessen setzte sich neben Oma auch noch ein junges Mädchen an den Tisch. Später wusste ich, es war Ida, die Verlobte von Ernst. Es gab Kartoffelsalat und in Gedanken war ich in Loccum bei Frau Kräft, wo alles so fein versorgt war. Welch ein Unterschied… Die Rehburger…

Nach dem Mittag wurden die Pferde eingespannt. Oma kam mit und ab ging es zum Katzhagen, Kohlstängel kappen für das Viehfutter. Inzwischen erzählte mir Oma, dass ihr Mann am 20. Dezember 1937 ganz plötzlich gestorben war. Zwei ihrer Söhne waren in Russland an der Front, der dritte lag schwerverwundet im Krankenhaus und der Mann ihrer Tochter war Soldat, irgendwo in Holland.

Ich spürte ihre Unsicherheit und die Tränen in ihren Augen sagten mir genug. Nein, diese Frau hat es nicht leicht. Sie erkundigte sich auch nach mir, meinen Verwandten und meiner Heimat und war sehr interessiert an meinen Strümpfen, die ich überhaupt nicht hatte, kaum Fußlappen. Zurück zu Hause ging sie sofort an die Schublade und brachte mir ein Paar dicke wollene Strümpfe. „Hier, sofort anziehen. Und solange du bei mir bist, wird es dir an Strümpfen nicht mehr fehlen.“

So, das war mein erster Tag in Rehburg. In den nächsten Tagen und Wochen zeigte sich die Arbeit von selbst. Das Wetter war gut und Anfang Dezember säten wir den letzten Roggen.

 

Weihnachten 1941: Zusammen mit dem Christkind kam auch König Winter mit unendlich viel Schnee und Frost. Es kam kein Ende und wiederholt bis April mussten wir die Straßen schneefrei machen für den Verkehr." 

2001 zeigte August Lustfeld bei einem Klönabend des Rehburger Bürger- und Heimatvereins ein Foto von Albert aus späteren Jahren.
2001 zeigte August Lustfeld bei einem Klönabend des Rehburger Bürger- und Heimatvereins ein Foto von Albert aus späteren Jahren.

 Für Albert ist es „König Winter“, der ihm lediglich die Aufgabe des Schneeschippens auferlegt. Im Arbeitskommando im Rehburger Forst hingegen haben die sowjetischen Gefangenen, die dort Anfang November 1941 eintrafen, noch keine Baracken, sind Frost und Schnee ungeschützt ausgesetzt. Das war einer der Gründe dafür, dass erste Gefangene bereits vor diesem Weihnachtsfest starben.

 

 

"Draußen konnte man nichts tun. Ich schlug Oma vor, die Küche rein zu machen und anzustreichen. Jemand besorgte mir den nötigen Kalk und Bürste. Nach dreimal anstreichen war alles so blank wie noch nie. Danach kamen die Diele und die Ställe an die Reihe und noch war der Winter nicht vorbei. Jemand lehrte mich, Mollen zu flechten. Ich fabrizierte acht Mollen und auch die Kartoffelsäcke wurden geflickt.

Die Jahreszeiten sorgten für genügend Arbeit, säen und pflanzen, Torf stechen, Heu ernten. Bei der Getreideernte kam Ernst aus Russland für drei Wochen in Urlaub, danach kam er nach Kreta.

Es kam der Herbst. Kartoffel- und Runkelernte und wieder Roggen säen.

Im Sommer 42 kam in Rehburg noch ein separates Russenlager für Aushilfe in der Landwirtschaft und für uns Belgier und Franzosen wurde eine nagelneue Holzbaracke gebaut. 

 

Rehburg verlassen zu müssen ist "wie ein Donnerschlag"

 

Dienstag, 13. November 42, wie ein Donnerschlag aus hellem Himmel kam abends die Nachricht: Morgen früh müssen alle Belgier aus Rehburg weg. Oma bemühte sich beim Bürgermeister und Kommandoführer. Es half alles nichts. Befehl ist Befehl. Die meisten kamen nach Uchte. Zu viert mussten wir am nächsten Morgen an der Bushaltestelle sein. Oma gab mir noch ein Paar Strümpfe und ein extra Hemd mit. Über unseren Abschied will ich hier lieber nichts erzählen.

Unter Begleitung eines Wachmannes brachte der Bus uns nach Stolzenau. Es regnete und ein anderer Wachmann übernahm uns. Zu Fuß über Schinna nach Anemolter, damals ein Dorf ohne Seele. Unser Lager ein zerfallenes Bauernhaus, drei Meter hoch abgesperrt mit Stacheldraht, für die Fenster Mähmaschinenmesser, als ob wir die reinsten Verbrecher wären. Wir kamen vom Himmel ins Fegefeuer. Wir waren hier mit 37 nur belgischen Gefangenen für die Ortschaften Schinna und Anemolter.

Nur kurz über Anemolter: Ich wurde eingesetzt bei …. Und behandelt wie ein Kriegsgefangener, im wahrsten Sinne des Wortes. Meinen drei Rehburger Kameraden ging es nicht besser. Heimweh nach Rehburg. Bei Opa, dem Vater von Frau …, der einen kleinen Hof im Dorf hatte, musste ich zwischendurch mal aushelfen. Er wusste von meinem Heimweh und mit seiner Hilfe brachte ich es fertig, in Zivilkleidung und mit Fahrrad Oma in Rehburg dreimal zu besuchen. Einmal allein, zweimal mit einem Kameraden. Dabei war einmal eine Kontrolle auf der Brücke in Stolzenau. Lebensgefährlich, aber wir haben uns durchgeschlagen.“

 

Ab April 1943 verbesserte sich Alberts Situation in Anemolter. Es gelang ihm, der Milchkutscher des Dorfes zu werden. Von seinem neuen Dienstherrn, Lübkemann, sagte er, dass er es bei ihm fast so gut wie bei Oma in Rehburg gehabt habe.

 

„Am 5. April 45 um 9.30 Uhr vormittags fuhren die ersten Engländer durch Anemolter Richtung Nienburg. Kein Widerstand, fast keiner hat es gemerkt. Wir waren befreit, ohne es zu wissen. Es dauerte aber noch bis zum 6. Juni 45 bis ich endlich zu Hause war.

Bauer Lübkemann kam bei Linz in amerikanische Gefangenschaft. Nur für ein paar Wochen. Als Bauer wurde er entlassen und war Ende Mai 45 wieder zu Hause.“

 

Belgier erlebt Menschlichkeit als Kriegsgefangener

 

Albert hat noch viel mehr Erinnerungen hinterlassen. An Max und Emmy Goldschmidt, die jüdischen Nachbarn von Oma Kick. Daran, dass Max ihm am Tag vor seiner Deportation ins Ghetto Warschau eine warme Jacke schenkte, als ob er geahnt hätte, dass er, Max, sie nicht mehr benötigen werde.

Vergessen hat er auch nicht Heinrich Brunschön, einen seiner Bewacher im Rehburger Arbeitskommando. „Heinrich Brunschön war kein Gefangenenwärter, er war ein Freund!“, schrieb Albert.

 

 

Es gab auch sie, diese Menschlichkeit an Gefangenen inmitten des Krieges. Doch es gab eben auch die andere Seite, die unmenschliche Behandlung, in der Leid und Tod von Gefangenen billigend in Kauf genommen oder sogar provoziert wurden. Nicht zuletzt und besonders dann, wenn es um Sowjetbürger ging, die die Nationalsozialisten als „Untermenschen“ bezeichneten.

April 2024

Beate Ney-Janßen

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