Wir erinnern an: Andrej Wladimirow

Der erste Tote im Rehburger Forst

 Andrej Wladimirows Namen haben die Wachposten bereits nach sechs Wochen von der Lagerliste gestrichen. Andrej, der von Beruf Landarbeiter war und aus dem Dorf Madras stammte, 400 Kilometer von Moskau entfernt. Andrej, der 1,75 Meter groß war, dunkelblondes Haar und graue Augen hatte.

 

Seinen 31. Geburtstag hat Andrej vermutlich nicht gefeiert. An seinem Festtag war er bereits in deutscher Kriegsgefangenschaft. Auch sein 32. Geburtstag ist nicht gefeiert worden. Zehn Monate zuvor starb er im Rehburger Forst. An jener Stelle, an der das Arbeitskommando 5790 des Stalag Nienburg sein Lager aufgeschlagen hatte. 

 

 Es war der 3. November 1941, an dem Andrej gemeinsam mit 47 weiteren sowjetischen Kriegsgefangenen in Rehburg ankam. Sechs Wochen später, am 15. Dezember, war er tot.

Die Gefangenen, die wie Andrej auf der Lagerliste des Kommandos 5790 stehen, waren die ersten, die in dieses Lager kamen. Andrej steht auf Platz 8 der Lagerliste. Zu Forstarbeiten sollten sie herangezogen werden. Rehburgs Wälder sind groß, Arbeit gab es genug und Arbeitskräfte in Deutschland waren knapp: Alle im Krieg.

 

 Sowjetische Gefangene zogen die Nazis für besonders schwere Arbeiten heran. Auf Unterbringung und Verpflegung wurde dabei wenig Wert gelegt. „Wir waren darauf gedrillt, dass die Russen Untermenschen sind“, erzählt Eike Heymer, der sich noch daran erinnern kann, dass es dieses Lager gab. Sowjets waren in Nazi-Deutschland nur wenig besser angesehen als Juden.

 

 Das deckt sich mit den Hinweisen, die wir zum November 1941 im Rehburger Forst bekommen haben. Als Andrej und seine Leidensgenossen dort ankamen, war von einem „Lager“ noch nichts zu sehen.

 

 

 Dort erwartete die Gefangenen ein Lager, das mit drei Baracken ausgerüstet werden sollte: einer für die Gefangenen, einer zweiten für das Wachpersonal und einer dritten, die als „Küche“ bezeichnet wurde. Als die 48 Männer ankamen, waren diese Baracken aber noch nicht vorhanden. In November-Kälte und Frost gab es keinen Schutz für sie. Das Errichten des drei Meter hohen Stacheldrahtzauns um das Karree war vorrangig… 

 

 Auf Andrejs Personalkarte ist vermerkt, dass er am 31. Juli 1941 gefangen genommen wurde. In Tartu, einer Stadt im heutigen Estland. Und auf der Personalkarte steht auch, dass er zur Zeit seiner Gefangennahme „gesund“ war. Nicht krank, nicht verwundet, mit damals 30 Jahren noch ein junger Mann.

 

 

 Wir stellen uns vor, dass die ersten Monate der Gefangenschaft und der Weg von Russland nach Deutschland an diesem Gesundheitszustand gerüttelt haben. Den Rest haben ihm die Wochen in diesem Lager gegeben, so dass er bald darauf im Rehburger Forst starb. Er war nicht der einzige, dem es so erging.

 

 Sehen wir uns die Lagerliste mit den 48 Männern an, dann stoßen wir auf 14 Namen, neben denen ebenso wie bei Andrej „gestorben“ steht. Im Zeitraum vom 3. November 1941 bis zum 9. Februar 1942. In wenig mehr als zwei Monaten. Fast ein Drittel der jungen Männer, die Monate zuvor noch gesund waren…

 

 Um Nachschub mussten die Wachmänner sich nicht sorgen. Es gab doch viele Sowjets in Gefangenschaft und innerhalb der zahlreichen „Kommandos“ wurden sie je nach Erfordernis hin- und hergeschoben.

 Wie etwa im Dezember 1941, als das Arbeitsamt Nienburg, das zuständig für die Arbeitseinteilung der Gefangenen war, beim Nienburger Kreisbauamt anfragte, ob 80 Russen, die in der Nähe von Husum Landschaftsarbeiten machen mussten, in den Rehburger Forst abgeordnet werden könnten.

Landschaftspflege sei im Winter schwierig. In Rehburg gebe es nach einem heftigen Sturm aber Bedarf.

 Das Arbeitsamt antwortete: „Im Walde bietet sich für die Gefangenen noch eine sehr gute Einsatzmöglichkeit, so dass hierdurch die Arbeitskraft jedes einzelnen genügend ausgenutzt werden kann.“ Die abgetretenen Gefangenen könnten später zurückgegeben werden.

Die Anforderung an das Arbeitsamt kam vom Rehburger Forstamt, das von Forstmeister Hans Heiseke geleitet wurde.

 Es kamen mehr Männer ins Lager. 132 Namen haben wir gefunden. Von 46 dieser Männer wissen wir, dass sie bis zum Frühjahr 1942 tot waren.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Doch was ist mit Andrej und den anderen Männern geschehen, die im Winter 1941/42 starben? Wo und wie sind sie beerdigt worden?

 

 

 Ein Erlass des Reichsministers des Innern vom 27. Oktober 1941 gibt Aufschluss darüber, dass ihnen auch im Tod keine Würde zugestanden wurde: „Sofern von Wehrmachtsdienststellen das Ansinnen gestellt wird, Leichen sowjetischer Kriegsgefangener zu bestatten, sind die Gemeinden verpflichtet, die Bestattung nach ärztlicher Feststellung des Todes unverzüglich durchzuführen.

Es ist den Gemeinden freigestellt, ob die Bestattung auf schon bestehenden Friedhöfen oder auf sonst geeigneten Plätzen vorgenommen wird.

 Für die Überführung und Bestattung ist ein Sarg nicht zu fordern. Die Leiche ist mit starkem Papier (möglichst Öl-, Teer- oder Asphaltpapier) oder sonst geeignetem Material vollständig einzuhüllen.

Die Überführung und Bestattung ist unauffällig durchzuführen. Bei gleichzeitigem Anfall mehrerer Leichen ist die Bestattung in einem Gemeinschaftsgrab vorzunehmen.“

 

 Wo die Toten aus dem Rehburger Forst bestattet wurden, ist bis heute nicht gesichert. Möglich ist, dass Andrej – zunächst – im Wald vergraben wurde. Hinweise haben wir auch auf ein Massengrab am Rand des evangelischen Friedhofs in Rehburg bekommen. Ebenso gibt es die Vermutung, dass einige der Männer auf dem – zu jenem Zeitpunkt bereits geschlossenen – jüdischen Friedhof der Stadt beigesetzt wurden.

Wir recherchieren weiter.

Juni 2023

Beate Ney-Janßen

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