Was gibt eine Kamera preis, die seit der NS-Zeit im Waldboden lag, direkt neben einem Lager für sowjetische Kriegsgefangene? Der außergewöhnliche Fund hat uns Rätsel aufgegeben.
Neujahr 2022. Ronald Reimann nutzt den freien Tag, um seinen Metalldetektor ein weiteres Mal über dem Boden im Rehburger Forst kreisen zu lassen. Dort, wo er uns als ehrenamtlich Beauftragter der archäologischen Denkmalpflege im Landkreis Nienburg bei Ausgrabungen eines Lagers für sowjetische Kriegsgefangene unterstützt.
Von 1941 bis 1945 wurden auf dem kleinen Waldstück mehr als 220 Männer zu harter Arbeit angetrieben und unter menschenunwürdigen Umständen eingesperrt.
Reimann ist schon nach manchem Piepen seines Detektors in die Knie gegangen und hat die Erdoberfläche angekratzt. Schrauben, Knöpfe, auch mal eine Patronenhülse. Das ist die metallene Ausbeute, die er und die anderen bislang geborgen haben.
An diesem Neujahrstag erwartet er ebenfalls nicht viel mehr als Spuren, die ihm helfen, das zu rekonstruieren, was sich vor mehr als 75 Jahren dort abgespielt hat. Doch es kommt anders.
Ausschlag fünf Meter außerhalb des Lagers
Fünf Meter jenseits der Linie, an der er den einstigen Lagerzaun vermutet, ertönt das bekannte Piepen, unter Moos und verfaultem Laub findet er ein kastenähnliches Ding. Vorsichtig streicht er die dickste Schicht Dreck beiseite und stutzt: Reste von Leder, darunter Metall. Ihm als einem, der nicht nur mit der Archäologie liebäugelt, sondern auch alte Fotografie-Technik sammelt, wird schnell klar: Er hat eine Kamera gefunden. Eine, die vermutlich älter als 75 Jahre ist.
Eine Kamera, durch deren Sucher gesehen wurde, was sich im Lager abspielt? Die womöglich Fotobelege aus diesen Jahren enthält? Bei uns stieg die Aufregung, als Reimann sein Fundstück mitbrachte und für alle stand fest, dass diese Kamera restauriert werden sollte.
Keine einfache Angelegenheit, denn die Aufgabe bestand schließlich nicht nur in der Aufarbeitung des Fundes, sondern auch darin, eventuell vorhandenes Filmmaterial zu retten.
„Die Suche nach einem Restaurator war alles andere als leicht“, erinnert sich Christiane Henne. In der Stiftung Niedersächsischer Gedenkstätten schlug Archäologin Juliane Hummel die Hände über dem Kopf zusammen. Bei ihr laufen viele Anfragen von Initiativen auf, die sich mit der NS-Zeit auseinandersetzen. Von solch einem Fall hatte sie zuvor aber noch nie gehört. Ähnlich erging es dem Kommunalarchäologen der Schaumburger Landschaft, Daniel Lau. Auch er zuckte mit den Schultern und riet, sich mit Hochschulen in Verbindung zu setzen.
Manche Dekane antworten innerhalb von Stunden
Das Interesse war auch dort groß. „Manche Dekane haben uns auf unsere E-Mail innerhalb von Stunden geantwortet“, erinnert sich Henne. Bis sich jemand fand, der sich diese komplizierte Aufgabe zutraute, ging allerdings einiger Schriftverkehr ins Land. Zuletzt landeten wir bei Dietmar Linke, Gastdozent an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Lehrbeauftragter für Konservierung und Restaurierung und mit einer Dunkelkammer ausgerüstet.
Der spezielle Auftrag hatte allerdings auch einen speziellen Preis. Rund 2.500 Euro – für die wir Förderer suchen mussten. Der Landschaftsverband Weser-Hunte, die Bürgerstiftung im Landkreis Nienburg, die Kommunalarchäologie der Schaumburger Landschaft und das Nienburger Ehepaar Rosemarie und Dieter Isensee sprangen ein. Ein Vabanque-Spiel, denn die Aussichten darauf, nicht nur einen belichteten Film vorzufinden, sondern auch Fotos retten zu können, waren ausgesprochen gering. Doch alle Förderer meinten, die winzige Chance sei den Versuch wert.
So reiste die Kamera nach Berlin und Linke begann tastend, sich ihren Mechanismen in der Dunkelheit anzunähern. Die ersten Nachrichten, die er nach Rehburg sandte, waren hoffnungsvoll: Ein Film ist enthalten. Der Film ist belichtet. Doch schon tags darauf kam die Ernüchterung: Mehr als 70 Jahre im Wald, lediglich durch eine dünne Humusschicht vor Hitze, Kälte und Nässe geschützt, hatten die Fotos zerstört.
Während der Flucht verloren?
Bei uns bleibt die Kamera – ohne die Geschichte, die sie vielleicht hätte erzählen können. In unseren Köpfen, die wir manches Mal auf dem Waldboden knieten, sind längst mögliche Szenarien entstanden. Ein Mensch, der sich an den Lagerzaun heranschlich, um Fotos zu machen, entdeckt wurde, die Flucht ergriff und dabei das wertvolle Stück verlor? Ein Verlust von einem aus der Wachmannschaft? Von den Alliierten kurz nach Kriegsende?
Von Gras und Moos, die über ihr gewachsen sind, ist die Kamera befreit. Ihr Geheimnis wird sie aber vermutlich ewig hüten. Doch auch so ist sie für uns ein wichtiges Relikt. Eines, das den Bogen schlägt von der Archäologie zur Historie. Genauso betten wir sie in das Konzept für die Ausstellung ein, die wir planen. Eine Ausstellung, die anhand des sogenannten „Russenlagers“ im Rehburger Forst einmal mehr das perfide menschenverachtende System der Nazis offenlegen soll.
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„Faktencheck zur NS Zeit für Schüler“
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