Pogromnacht in Rehburg

Als am Morgen des 9. November 1938 die Kinder zur Schule kamen, direkt neben der Kirche hier, wo heute das Altenheim ist, da liefen die Lehrer schon in braunen Uniformen und SA-Stiefeln über den Schulhof. Und ein Lehrer hat damals den Kindern gesagt: „Kinder“, hat er gesagt, „Ihr habt heute frei!“. Da haben die Kinder gefragt, warum sie frei haben. Und da hat der Lehrer gesagt: „Wir müssen die Juden in Rehburg verjagen.“

 

So hat sich Wolfram Braselmann, Pastor in Münchehagen, von Gemeindemitgliedern die Vorgänge der Pogromnacht erzählen lassen. Und so hat er es in einer Predigt zum 70. Jahrestag jener Nacht, in der die Synagogen brannten, erzählt.

 

Wie vieles andere, das sich in der NS-Zeit abgespielt hat, war auch die Pogromnacht etwas, das nicht nur irgendwo in Deutschland und weit weg passiert ist, sondern sich genau hier, in unserer Mitte, ereignete.

 

Die Synagoge in Rehburg ist von Menschen aus unserer Stadt gestürmt worden.

Das Inventar wurde auf dem Rehburger Marktplatz verbrannt.

Die Wohnungen der jüdischen Mitbürger wurden durchsucht.

Die männlichen Juden wurden inhaftiert und in das KZ Buchenwald deportiert.

 

Nach dem, was Wolfram Braselmann predigte, begann die Pogromnacht in unserer Stadt mit einem kleinen Beispiel von Zivilcourage:

Der Lehrer hat also gesagt: „Wir müssen die Juden in Rehburg verjagen!“, und da haben die Kinder von den Juden erzählt, die sie kannten, die damals manchmal als Hausierer über die Rehburger Berge nach Münchehagen kamen. Und ein Mädchen hat gesagt: „Zu uns kommt immer ein Jude, der Leder verkauft.“ Da hat der Lehrer das Mädchen gefragt: „Wie heißt der Jude?“ Und da hat das Mädchen gesagt: „Das sag ich Ihnen nicht.“

 

Der Loccumer Konrad Droste schreibt in seinem Buch ‚Loccum – Ein Dorf – Das Kloster – der Wald’:

„Es gibt Aussagen von ehemaligen SA-Männern, dass auch Mitglieder von NS-Einheiten aus Loccum und Münchehagen im Laufe des 10. November 1938 mit Fahrrädern und in Uniform nach Rehburg fuhren, um die „Auswirkungen des echten Volkszorns“ kennen zu lernen.“

 

Der Rehburger Heinrich Brunschön (Jahrgang 1929) erinnert sich, dass die SA-Kolonne zunächst bis zum Haus der Familie Löwenberg marschierte und rief: „Wir fordern Vergeltung für Ernst vom Rath!“ An das Haus schrieben sie: „Die Juden stinken von weither, jagt sie ins Tote Meer. Die Juden jagt nach Kanaan hin, weil wir sie hier nicht brauchen können.“ Danach nahmen sie Julius Löwenberg mit

Anschließend sei die Kolonne zum Haus von Jakob Löwenstein marschiert. „Der hatte seine Pistole ins Plumpsklo geworfen. Die musste er wieder herausholen.“ Jakob Löwenstein und sein Schwiegersohn Alfred Birkenruth seien ebenso mitgenommen worden.

Alle männlichen Juden hätten die SA-Männer zum Spritzenhaus am Rehburger Marktplatz mitgenommen und dort eingesperrt.

„Dann haben sie eine schwarze Puppe gemacht wie einen Rabbi und haben der die Rollen (die Tora) unter den Arm gebunden und auf den Haufen auf dem Marktplatz gestellt und angesteckt. Dann wurden die Männer (Juden) dazugeholt.“

 

Eine Rehburgerin, Jahrgang 1930, erzählt:

„Meine Freundin und ich kamen aus der Schule und sahen schon an der Meerbachbrücke, dass dort an der Synagoge viele Menschen standen und überall Scherben lagen. Sachen waren nach draußen geschmissen worden. Meine Freundin rief: ‚Oh, unser Haus brennt!“ Sie wohnte doch in einer der Wohnungen der Synagoge. Rauch war nicht zu sehen, aber die Scherben und die Menschen – da dachte sie, dass es brennt.“

 

Ein Rehburger (Jahrgang 1929) kam am Tag nach der Pogromnacht gemeinsam mit seinem Vater, der Tischler war, in die Synagoge:

„Mit meinen Vater bin ich nach der Reichskristallnacht in die Synagoge gegangen. Der hat geschimpft, weil die SA-Leute die ganze Ostwand aufgerissen haben. Wir haben auf der Empore gestanden. In der Wand war ein großes Buntglasfenster, ein David-Stern oder so.“

 

In der Rehburger Schulchronik steht:

10. 9.1938: Kampf dem Weltjudentum.

(Verbrecherischer Mord in Paris an dem deutschen Gesandtschaftsrat v. Rath).

Hier sind noch 5 jüdische Familien wohnhaft, während eine im Laufe des Sommers auswanderte, alle fleißig und harmlos.

Die SA durchsuchte die Wohnungen am 10. 9.38 vormittags. Man fand nichts Bedeutendes. Die Synagoge hier wurde ausgeräumt (zerschlagen), das Gerümpel auf dem Marktplatz verbrannt.

(Bemerk.: Der Schreiber dieser Chronik war am 10. 9.38 mit seiner Familie verreist.) (Anmerkung der Redaktion: in der Chronik ist tatsächlich der 10. September verzeichnet als Tag der Pogromnacht. Der Schreiber muss sich in diesem Fall schlicht und einfach im Datum getäuscht haben)

 

Eine Rehburgerin (Jahrgang 1930) erinnert sich, dass der BdM (Bund deutscher Mädchen) geschlossen zum Marktplatz marschieren musste, um zuzusehen, wie die Einrichtung der Synagoge und die Puppe, die einen Rabbiner darstellte, verbrannt wurden.

 

Auszug aus den gesammelten Unterlagen des verstorbenen Rehburgers Heinz Hortian:

In Rehburg wurde die Einrichtung der Synagoge zerschlagen und auf dem Marktplatz verbrannt. Am 10. 11. vormittags durchsuchte die SA die jüdischen Wohnungen.

Beschlagnahmt wurden:

2 Fahrräder

2 Schränke mit Akten und Büchern

1 neuer Kupferkessel mit alten Zinngeräten

1 Motorrad

1 Geldkassette

1 Radiogerät

2 alte Trommelrevolver und 1 Dolch

Altsilber im Wert von 36,60 RM

5 Sparkassenbücher der jüdischen Familien im Wert von 2054,71 RM

1 Synagogenbuch

Heiratsregister von 1812

Familienregister von 1833 – 1843

1 Geburtsliste von 1844 - 1880

1 Trauungsliste von 1844 - 1878

1 Sterbeliste von 1846 - 1873

1 Protokollbuch

1 Siegel

1 Karton alter Akten

 

Kurz nach der Pogromnacht wurden die sechs im Spritzenhaus festgehaltenen Juden – Jakob Löwenstein, Julius Löwenberg, Alfred Birkenruth, Siegmund Stern, Max Goldschmidt und Hermann Levy – in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert.

Jakob Löwenstein starb dort am 26. November 1938. Alle anderen kamen zurück. Julius Löwenberg hat nach seiner Heimkehr gesagt: „Den Jakob, den haben sie tot geschlagen.“

Quellen:

Zeitzeugen

Predigt Wolfram Braselmann Braselmann http://www.stolpersteine-rehburgloccum.de/geschichte/erinnerungen-und-überliefertes/eine-predigt-aus-unserer-zeit/

Konrad Droste, ‚Loccum – Ein Dorf – Das Kloster – Der Wald’

Hinterlassene Unterlagen von Heinz Hortian, Rehburg

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„Faktencheck zur NS Zeit für Schüler“
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