Max Goldschmidt, * 1876

Am 28. März 1942 über Ahlem nach Warschau deportiert
 Todestag unbekannt
 
Stolperstein:

Mühlentorstraße 14 in Rehburg

Max Goldschmidt wurde am 10. Februar 1876 in Rehburg als sechstes Kind von Rosalie und Heine Goldschmidt geboren. In seinem Elternhaus in der Mühlentorstraße 14 lebte er bis zum 28. März 1942. Dann wurde er gemeinsam mit seiner Schwester Emmy in das Ghetto Warschau deportiert. Der Tag seiner Ermordung ist unbekannt.

Familie:

 

Acht Kinder hat das Ehepaar Rosalie und Heine Goldschmidt bekommen, Max wurde als sechstes geboren.

Das älteste Kind der Eheleute war Emmy, 1869 geboren. Sie wurde 1942 gemeinsam mit ihrem Bruder Max in das Ghetto Warschau deportiert und ermordet. Für Emmy ist ebenso wie für Max ein Stolperstein vor ihrem Elternhaus in der Mühlentorstraße 14 in Rehburg verlegt worden.

Max Bruder Anschel kam 1870 zur Welt und starb 1928 in Moers. Ob Anschel heiratete und womöglich Kinder hatte, wissen wir nicht.

1872 wurde Max Schwester Ida geboren. Ida heiratete und trug danach den Familiennamen Werner. Wir haben einen Hinweis bekommen, dass Ida den Holocaust überlebt hat und vermutlich nach Cuba geflohen ist. Dieser Spur gehen wir noch nach und hoffen darauf, Nachfahren von Ida Werner, geborene Goldschmidt, in Cuba oder anderswo auf der Erde zu finden.

Das vierte Kind der Familie war Iwan Goldschmidt, 1873 geboren und nur acht Monate später als Säugling gestorben.

Ein Jahr später, 1874, kam Ella Goldschmidt auf die Welt. Ella hat vermutlich 1939 ihr Elternhaus in Rehburg verlassen und ist nach Hamburg gezogen. Am 15. Juli 1942 wurde sie im Alter von 67 Jahren nach Treblinka deportiert und ermordet. Der Tag ihres Todes ist unbekannt.

Max Schwester Johanna, 1878 geboren, heiratete Hermann Levy, mit dem sie nach Lübbecke zog. Johanna starb 1937 – woraufhin ihr Mann Hermann zu Schwägerin und Schwager nach Rehburg zog. Hermann Levy überlebte, indem er gemeinsam mit seinem Sohn Kurt in die USA floh.

Das jüngste Kind von Rosalie und Heine Goldschmidt, Alma, wurde 1880 geboren und starb im Alter von vier Monaten.

Sowohl Max als auch seine Schwester Emmy blieben ledig und lebten gemeinsam in ihrem Elternhaus in Rehburg.

Erinnerungen:

 

Eine der eindringlichsten Erinnerungen an Max hat uns eine ältere Rehburgerin erzählt. In der Nacht bevor Max und Emmy mit einem Bus abgeholt wurden, um zunächst in das Sammellager in Ahlem und von dort in das Ghetto Warschau deportiert zu werden, hat Max noch einmal das Haus verlassen.

Sein Ziel war die Scheune von ‚Oma Kick’ – so wurde eine ältere Nachbarin in Rehburg genannt. Diese Oma Kick hatte sich in den Jahren zuvor des Öfteren über Verbote der Nazis hinweg gesetzt und den Geschwistern aus der größten Not geholfen, indem sie ihnen beispielsweise Milch brachte.

Zwei Dinge hat Max in Oma Kicks Scheune abgelegt: eine gute Jacke, die er dem belgischen Kriegsgefangenen, der dort wohnte, geben wollte, und einen großen Kochlöffel. Die Rehburgerin, die uns von dieser Begebenheit erzählt hat, sinniert noch heute, was Max dazu bewogen hat: „Ob er wohl wusste, dass sie nicht zurückkommen werden? Ob er damit sagen wollte, dass sie ‚den Löffel abgeben’ müssen?“

 

Viele Jahre später schrieb jener Kriegsgefangene in seinen Erinnerungen an seine Zeit in Rehburg über Max und Emmy Goldschmidt:
„Sie wohnten ein paar Häuser neben Oma (Kick). Es waren Juden und sie sollten gemieden werden. Als im Januar 1942 bei Max die Wasserleitung einfror, bekam er die Genehmigung, das nötige Wasser bei Oma zu holen: Hereinkommen, Eimer volllaufen lassen und wieder herausgehen ohne ein Wort zu sprechen. Das war nichts für Oma. Oft kam Max hinten ums Haus. Wenn er sicher war, dass ihn keiner gesehen hatte, blieb er eben und erzählte, was ihm auf der Seele lag. So erfuhr ich, dass er 1914/1918 Soldat war und dreimal ausgezeichnet wurde. Er war einer der wenigen seiner Einheit, der ohne Verwundung davongekommen war. Bei Kriegsende rief der Kommandeur die wenigen Überlebenden noch mal zu sich und hielt eine Ansprache, die mit dem Satz endete: „Der Dank des Vaterlands ist euch gewiss.“ 24 Jahre später, im April 1942, wurde Max mit seiner Schwester abgeführt ins Totenlager. Das war der Dank des Vaterlands. Am Tag seiner Abführung morgens ganz früh legte er für mich eine fast neue Jacke und für Oma einen großen Holzlöffel bei Oma in den Kuhstall.“

 

An das Geschwisterpaar erinnern sich die Rehburger ansonsten, weil sie beide so klein von Wuchs waren, dass es sogar den Kindern damals auffiel: „Max und Emmy haben oft auf der Bank vor ihrem Haus gesessen. Weil sie so klein waren, baumelten ihre Beine in der Luft.“ Diese Erinnerung an die beiden älteren Leute haben wir aufgegriffen und zum Motiv einer der Tafeln unserer Ausstellung ‚Sie waren Nachbarn’ gemacht.

 

Erzählt worden ist uns von älteren Rehburgern außerdem, dass sowohl Max als auch seine Schwester Emmy ihren Lebensunterhalt als „Kiepenkeerl“ verdienten. Mit der Kiepe – einer Tragevorrichtung, die auf den Rücken geschnallt wurde – gingen sie zu den Bauern in der Umgebung, kauften Eier, Kartoffeln und andere Waren ein, die sie einmal in der Woche zu einem Markt in Hannover brachten, um sie dort zu verkaufen. Gemüse bauten sie außerdem in dem Garten hinter ihrem Haus an.

Die Geschwister müssen relativ arm gewesen sein – was letztlich einer der Gründe war, weshalb sie in Rehburg blieben statt zu fliehen. Es fehlten ihnen einfach die finanziellen Mittel für eine Flucht. Ein Hinweis darauf ist ein Satz, den die Bad Rehburger Jüdin Else Freundlich am 2. Mai 1939 an ihre Tochter Paula in England schrieb: „Emmy und Max mit ihrem kleinen Einkommen können es bestimmt nicht machen.“ In den Sätzen zuvor hatte sie ihrer Tochter davon berichtet, dass sowohl sie als auch die Familie Birkenruth „fort“ möchten.

 

 

Schicksal:

 

Als Max Goldschmidt 1942 nach Warschau deportiert wurde, war er 66 Jahre alt. In dem Deportationszug waren neben Max und seiner Schwester Emmy noch weitere Rehburger und Bad Rehburger Juden: das Ehepaar Birkenruth mit seinen beiden Söhnen wie auch das Ehepaar Freundlich mit fünf seiner sechs Kinder.
 
Für Max war es allerdings nicht die erste Fahrt ins Ungewisse und mit größten Befürchtungen, denn vier Jahre zuvor, nach der Pogromnacht, war er bereits gemeinsam mit den übrigen männlichen Rehburger Juden in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert worden.
 
Der Rehburger Heinrich Brunschön (Jahrgang 1929) erinnert sich noch an einige Einzelheiten der Pogromnacht vom 9./10. November 1938 in Rehburg: Demnach marschierte zunächst eine SA-Kolonne bis zum Haus der Familie Löwenberg und rief: „Wir fordern Vergeltung für Ernst vom Rath!“ An das Haus schrieben sie: „Die Juden stinken von weither, jagt sie ins Tote Meer. Die Juden jagt nach Ganaa hin, weil wir sie hier nicht brauchen können.“ Danach nahmen sie Julius Löwenberg mit. Anschließend sei die Kolonne zum Haus von Jakob Löwenstein marschiert, dann zu dem Haus, in dem Max und Emmy Goldschmidt lebten. Dort nahmen sie sowohl Max als auch seinen Schwager Hermann Levy mit, der erst eine Woche zuvor bei Schwager und Schwägerin in Rehburg eingezogen war. Alle männlichen Juden hätten die SA-Männer zum Spritzenhaus am Rehburger Marktplatz mitgenommen und dort eingesperrt. „Dann haben sie eine schwarze Puppe gemacht wie einen Rabbi und haben der die Rollen (die Tora) unter den Arm gebunden und auf den Haufen auf dem Marktplatz gestellt und angesteckt. Dann wurden die Männer (Juden) dazugeholt.“
 
Tags darauf wurden die sechs Männer zum Konzentrationslager Buchenwald geschafft. Innerhalb der folgenden drei Monate kamen fünf von ihnen zurück. Der älteste unter ihnen, Jakob Löwenstein, überlebte Buchenwald jedoch nicht – er wurde dort erschlagen.
 
Max Schwager Hermann Levy flüchtete bald darauf gemeinsam mit seinem Sohn Kurt in die USA. Max und seine Schwester Emmy blieben in Rehburg und wurden weniger als vier Jahre später deportiert und ermordet:
 
Eine ehemalige Nachbarin der beiden erinnert sich noch, wie der Bus, der die Juden abholte, frühmorgens am 28. März 1942 vor Emmys und Max Haus anhielt. „Ich sehe Emmy da noch vor dem Bus stehen mit ihrer Mütze“, sagt die Rehburgerin. Mit diesem Bus wurden Emmy und Max nach Ahlem zur Israelitischen Gartenbauschule gebracht, die mittlerweile als Sammellager diente.
Drei Tage später wurden sie von Ahlem über Hannover in das Ghetto Warschau deportiert. Rund drei Monate später begann die SS mit der Räumung des Ghettos und dem Transport der Menschen in Güterwaggons in das nun fertig gestellte Vernichtungslager Treblinka II, ca. 80 km nordöstlich von Warschau.


Wahrscheinlich wurden Max und Emmy dort sofort nach dem Eintreffen in einer Gaskammer mit Kohlenmonoxyd ermordet.

Quellen:

Gerd-Jürgen Groß, ‚Sie lebten nebenan’, Erinnerungsbuch für die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933 – 1945 deportierten und ermordeten jüdischen Frauen, Männer und Kinder aus dem Landkreis Nienburg/Weser sowie Auszüge aus Groß Vortrag ‚Transportiert und deportiert’.

Hinterlassene Unterlagen von Heinz Hortian, Rehburg

Kreisarchiv Nienburg

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Erinnerungen eines belgischen Kriegsgefangenen

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