AK 5790 – Todeslager im Rehburger Forst - Ein pars pro toto

Anmerkung des Arbeitskreises Stolpersteine: Den folgenden Artikel hat die Rehburgerin Regina Brunschön verfasst. Wir haben ihn für unsere Homepage ungekürzt übernommen. Die in diesem Artikel enthaltenen Aussagen zum Forstmeister Heiseke bedürfen weiterer Prüfung. Sie repräsentieren die Bewertungen der Verfasserin. 

 

Ein idyllisches Waldstück, etwas abseits von den häufig begangenen Spazierwegen war der Ort eines Lagers, in dem sowjetische Kriegsgefangene eingepfercht und zur Arbeit gezwungen wurden.

Bereits am 3. November 1941 – so zeigen einzelne in dem Zentralen Archiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation (Camo) in Podolsk auffindbare Personalkarten – wurden die ersten 50 sowjetischen Soldaten im Arbeitskommando (AK) 5790 in Rehburg registriert. Sie wurden dort in dem Waldstück hinter Stacheldraht abgesetzt, ohne dass ein Lager für sie errichtet war. Ein hoher Prozentsatz verstarb dort im besonders kalten Winter 1941/42.

 

Die Frage nach einer geeigneten Sprache, ein Geschehen zu skizzieren, das sich humanen Vorstellungen entzieht, ist häufig gestellt. Es wird immer eine Lücke bleiben zwischen dem was mit Worten benennbar ist und der Wirklichkeit des Lagers im Rehburger Buchholz.

Wir sollten uns zunächst an den auffindbaren Fakten orientieren und versuchen, den noch immer bestehenden Deutungsfallen zu entgehen.

 

Es ergeben sich zur Untersuchung der Geschichte des Lagers drei verschiedene Aspekte:

 

1. Beschaffenheit des Lagers sowie das Leben und Sterben im Lager, soweit es rekonstruierbar ist

2. Das Verwaltungsgeflecht von Forstamt und Klosterkammer zur Auszehrung der sowjetischen Kriegsgefangenen im Staatsforst Rehburg – Ein Gegenmodell zur NS-Propaganda vom Deutschen Wald

 

3. Der Vernichtungskrieg der Wehrmacht im Osten als Grundlage und Pendant für die Auszehrung und Vernichtung der Kriegsgefangenen im Westen – zwei Seiten desselben Geschehens (Ein Schulprojekt)

Zu 1 Beschaffenheit des Lagers sowie das Leben und Sterben im Lager, soweit es rekonstruierbar ist.

 

Was im Einzelnen im Lagerbereich des AK 5790, zu dem in der Zeit vom 3. November 1941 bis zum 8. April 1945 insgesamt mindestens 250 Kriegsgefangene zählten, geschah, ist noch nicht vollständig ermittelt. Die Kommandolisten der Wehrmacht aus den Jahren 1941 bis 1945, die sich auf das AK 5790 beziehen und denen die Namen der 250 Gefangenen zu entnehmen sind, sind erhalten.

Die Dokumentenlage zum Lager ist etwas dürftig; doch es kommen immer wieder neue Informationen hinzu.

Die Erkenntnisse gewinnen wir gegenwärtig aus Schilderungen von Zeitzeugen, aus den Listen, die in Arolsen-Archives zu finden sind, aus Dokumenten verschiedener niedersächsischer Archive und nicht zuletzt aus den Fundstücken der archäologischen Grabungen.

 

Wie schnell der Aufbau der Lagerhütten im November 1941 von statten ging, darüber gibt es bisher keine genaue Information. Beteiligt am Aufbau war ein Sägewerk in Rehburg, dem später im AK 5971 auch Kriegsgefangene zugeteilt wurden (1).

Der Zeitzeuge W. L. aus Rehburg kann über die Entstehungsphase des Lagers Auskunft geben: „Als die Kriegsgefangenen 1941 ankamen, sei man nicht auf sie vorbereitet gewesen. Die Baracken wurden erst im Laufe der Zeit gefertigt. Deshalb lebten die Gefangenen in Erdlöchern mit Zeltplanen. Sie gruben sich die Erdlöcher selbst, und zwar auf demselben Gelände, auf dem die Barackenanlage aufgestellt wurde.“ (2).

„Die Bretter für die Baracken stammen vom Sägewerk Dökel, wo die Bretter auch vorgefertigt wurden.“ (3).

Im Laufe des Winters 1941/42 wuchs das Lager an und weitere Kriegsgefangene kamen hinzu: Bis Ende Februar beläuft sich die Zahl auf 114. Sie kamen zum Teil aus Riesloh (AK 109), Linsburg (AK 6009) und Husum, Kreis Nienburg (AK 6002) – so ist auf den Personalkarten der Wehrmacht vermerkt, die in dem Archiv Camo in Podolsk abrufbar sind.

Bis zur Befreiung am 9. April 1945 waren nach den in Arolsen-Archives vorhandenen Listen des Arbeitskommandos 5790 mindestens 250 Menschen im Staatsforst Rehburg hinter Stacheldraht eingeschlossen. Sehr wahrscheinlich ist die Gesamtzahl jedoch höher, da auf einzelnen Personalkarten eines Lagers in enger räumlicher Nähe (Leese III, AK 5818) der Aufenthalt in Rehburg nachgewiesen ist, obwohl die aufgefundenen Listen der Wehrmacht zum Lager im Rehburger Staatsforst diese Namen nicht enthalten. Es handelt sich um Kriegsgefangene des AK 170, von denen offensichtlich nur ein Teil in das AK 5790 übernommen wurde. Mit der Umbenennung war somit auch eine Umgruppierung verbunden.

Alle17 Kriegsgefangenen, die am 25. Dezember 1941 in die Wehrmachtsliste des AK 5818 mit einheitlicher Handschrift eingetragen sind und deren Personalkarten gefunden wurden, waren auf den Personalkarten mit „AK 170 Stadt Rehburg“ eingetragen. Deshalb müssen wir davon ausgehen, dass diese 17 Kriegsgefangenen anfänglich auch im Rehburger Staatsforst eingesperrt waren.

 

Die Hinweise der Zeitzeugen zum Lagerort unterscheiden sich nur in Nuancen: Die Existenz eines Wachturms wird bestätigt, der baugleich mit einem ebenfalls vom Reichsarbeitsdienst erbauten und etwa zwei Kilometer entfernten Feuerturm östlich der Nienburger Straße gewesen sei. Das Lager war mit Stacheldraht eingezäunt.

„Das Wachhaus sei an der Südseite, vorn am Weg gewesen, es sei unabhängig vom Lager eingezäunt gewesen.“ (4).

Vier markante Birken im Eingangsbereich, die nach Abbau des Lagers noch vorhanden waren, prägten das Bild des Lagers. Es gab eine Stromleitung, keine Wasserleitung, sondern einen Brunnen. Ein mit Holzstämmen gestützter und mit Erde überdeckter Bunker habe sich auf dem Gelände befunden, genau wie auf dem Marktplatz in Rehburg. Die Baracken waren aus Holz mit flachem Dach aus Teerpappe. (5).

„Zur Aufbewahrung der zuteilten Lebensmittel für die russischen Gefangenenlager war ein Keller gebaut worden.“, schreibt ein Bürger Bad Rehburgs in einem anderen Zusammenhang (6).

Ein mit Stacheldraht gefülltes Erdloch wurde bei vom Arbeitskreis Stolpersteine initiierten archäologischen Grabungen auf dem Gelände gefunden. Es befindet sich neben einem Gebäude mit drei Schornsteinen, dessen Fundamentreste bei den ersten Grabungen freigelegt wurden und das nach ersten Einschätzungen die Küche gewesen sein könnte.

Ein vom britischen Militär 1944 aufgenommenes Luftbild zeigt das Lager deutlich: geschätzte Länge 100 Meter, Breite ca. 40 Meter, ein Vorplatz im Norden, ca. 40 Meter mal 40 Meter, ein zusätzliches Haus, etwas abseits an der Südseite des Lagers.

Die noch anstehenden archäologischen Grabungen werden sicherlich weitere Details zur Beschaffenheit des Lagers zutage befördern und evtl. auch Aufschlüsse zur Geschichte geben können.

Die Wachmannschaften gehörten zur 3., 4. und 5. Kompanie des Landesschützenbataillons (LSB) 680.

 

Im ersten Winter starben im Lager 25 Menschen, weitere 10 Kriegsgefangene waren so geschwächt, dass sie kurz vor ihrem Tod noch ins Lazarett Wietzendorf transportiert wurden, dem zentralen Lazarett für sowjetische Kriegsgefangene im Wehrkreis X. „In der Quarantänezeit unbekannt verstorben“, heißt es auf einigen der erhaltenen Personalkarten. Gemeint ist, dass das Todesdatum unbekannt ist.

Die hohen Todeszahlen deuten auf Mangelernährung und Überarbeitung hin. „Körperliche Schwäche“ ist ebenfalls eine gängige Formel für die Angabe der Todesursache. Ob auch in Rehburg wie in anderen Lagern in diesen Monaten das Fleckfieber ausbrach, ist nicht bekannt.

Die hohe Sterberate im ersten Winter lässt auch keinen Zweifel daran aufkommen, dass die Vernichtung der Kriegsgefangenen sehend hingenommen wurde. Der rassistische Blick auf die Menschen aus Osteuropa behinderte die Wahrnehmung der Gefangenen als Menschen.

 

Im Lager des Staatsforsts Rehburg ist eine hohe Fluktuation zu verzeichnen, Gruppen von Gefangenen werden zwischen einzelnen Arbeitskommandos verschoben, und Menschen, die nicht mehr zum Arbeitseinsatz in der Lage sind, werden ins Lazarett in Wietzendorf verlegt.

Hinter den zahlreichen auf den Kommandolisten der Wehrmacht verzeichneten Verlegungen vom 10.03.1942 in den Wehrkreis „XI Fallingbostel“ verbirgt sich, wie auf den Personalkarten von Alexander Akaemow (XD 6352) und Ewgeni Andrew (XD 9583) zu sehen ist, die Versetzung in den Wehrkreis XI (in die Arbeitskommandos Heerte und Drütte des Stalag XI B Fallingbostel) zum Einsatz in der Rüstungsproduktion bei den Hermann-Göring-Werken im Salzgittergebiet.

(Es werden die Registriernummern der Wehrmacht angegeben, da hierüber die Dokumente einfacher zu finden sind als über die häufig unterschiedlich transkribierten russischen Namen.). Auf der Personalkarte von Alexander Akaemow findet sich der Eintrag vom 25.05.1943 „Entflohen – Wiederaufgegriffen und bei erneutem Fluchtversuch erschossen“. Alexander Akaemow wurde am 20. März 1920 geboren. Er wurde bereits am fünften Tag nach dem Überfall auf die SU in Kaunas gefangen genommen.

Von Ewgeni Andrew, geb. am 20. April 1918, ist auch ein Foto vorhanden. Die Angaben zur Gefangennahme sind etwas unleserlich: 01.09.1941 in St. Sokali (?). Auch er starb in Drütte; es findet sich ein Hinweis zur Todesursache: „1.1.43 verstorben – Lungen TBC“.

Die Versetzungen nach Drütte korrespondieren mit dem Bestreben des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), die sowjetischen Kriegsgefangenen vermehrt der Rüstungsindustrie zur Verfügung zu stellen (7).

Rolf Keller verweist auf die „Notiz über eine Besprechung über die Umsetzung von russ. Kriegsgefangenen in die Rüstungsindustrie am 6.1.1942“ (8), die der Versetzung um zwei Monate vorausgeht. Nur arbeitsfähige Kräfte sollten verschoben werden. Wir können somit annehmen, dass die 15 am 10.03.1942 verlegten Kriegsgefangenen ausgesucht wurden, weil sie noch gesund waren. Im gleichen Monat gab es neben den Einlieferungen in das Lazarett Wietzendorf andere Verlegungen nach Husum (AK 6002) und Oyle (AK 6000). Gleich am Folgetag sind 25 Neuzugänge aus Riesloh (AK 109) verzeichnet, im Mai 1942 kamen 40 Kriegsgefangene aus Meinkingsburg (AK 5147) hinzu.

 

Der Kriegsgefangene Stepan Kargusow, geb. am 15.03.1903 in Palizkoje (XD 39237) wurde im Staatsforst Rehburg am 30.01.1942 erschossen. „Gestorben (wegen Fluchtversuch erschossen)“ heißt es auf seiner Personalkarte. Er war wie einige andere auch in Staraja Russa am Ilmensee gefangen genommen worden.

Interessant ist, dass der Tod von Stepan Kargusow auf dem Schreiben der Stadtverwaltung der Stadt Rehburg vom 4. November 1949 fehlt. Die Stadtverwaltung war offensichtlich von alliierter Seite aufgefordert, die vor Ort gestorbenen und beerdigten sowjetischen Soldaten zu benennen. Stadtdirektor Heinrich Kloth führt die Namen von 25 Verstorbenen auf, gibt jedoch den Namen von Stepan Kargusow nicht an. Auch zwei weitere in derselben Woche vor Ort verstorbene Kriegsgefangene werden nicht genannt: Alex Pusanow (XD 40016) und Sergej Uschakow (XD 37486). Die Personalkarte der Wehrmacht von Stepan Kargusow ist jedoch erhalten und vermerkt nur „verstorben“, wohingegen auf der Datenbank Camo sogar ein Begräbnisort angegeben wird, der jüdische Friedhof Rehburg, der seit 1939 eigentlich geschlossen war. Auch wenn zu bedenken ist, dass die Pflicht zur standesamtlichen Beurkundung der Todesfälle der sowjetischen Kriegsgefangenen zwischenzeitlich ausgesetzt war, ist damit nicht zu erklären, dass die Angaben für eine bestimmte Wochen fehlen, in denen ein Kriegsgefangener erschossen wurde.

„Vorstehende sind auf den Massengräbern auf dem Rehburger Friedhof beigesetzt.“, schreibt die Stadtverwaltung im letzten Absatz.

Der Stadtdirektor zeigt offensichtlich nur einen begrenzten Aufklärungswillen; denn unaufgefordert fügt er einen Satz hinzu, der mehr erzählt als er zu verbergen sucht: „Naeheres ist hier nicht bekannt, da die seinerzeitigen Wachposten der STALAG hier nicht ansaessig waren und sehr haeufig gewechselt wurden.“

Der letzte Leiter des Landesschützenbataillons Hans Behr lebte ca. 100 Meter von Stadtdirektor Kloth entfernt und war durch Holzhandel weiterhin in enger geschäftlicher Verbindung mit dem Forstamt der Klosterkammer.

 

Was mit den in der letzten Januarwoche 1942 auf der Liste des Stadtdirektors nicht aufgeführten Kriegsgefangenen geschah, welche Geschichte sich hinter den verschwiegenen Namen verbirgt, ist bisher nicht bekannt. 

Die Lebensbedingungen müssen sich in den Folgejahren ein wenig verbessert haben; denn die Anzahl der Sterbenden sinkt etwas.

Auch war in den letzten Jahren offensichtlich etwas Zeit, handwerkliche Produkte anzufertigen. Ein herzförmiger Strohkorb (siehe Abbildung) wird noch heute von Frau Volkewien in Rehburg als Nähkorb benutzt. Er ist aus dem Pfeifengras des Buchholzes in Rehburg geflochten und mit gestreiftem Stoff gefüttert; „Tapetenreste“ nach Auskunft von Herrn Volkewien.

Die Handwerksarbeiten wurden gegen Lebensmittel eingetauscht, wenn die Kriegsgefangenen zum Einsatz in den Bauernhöfen abgestellt wurden, wie die Zeitzeugin E. L. (Jahrgang 1929) erzählt. Sie meint, dass auch einige Kriegsgefangene in Rehburg bei der Ernte geholfen hätten und auf den Bauernhöfen besser verpflegt wurden als im Lager. „Sie haben auch etwas mitgekriegt“, erzählt sie, „ordentlich Brote“. (9). „Die Kriegsgefangenen seien gern aus dem Lager ins Dorf gekommen. Viele seien handwerklich sehr geschickt gewesen, sie hätten Körbe geflochten, für die sie etwas zu essen bekamen. Sie hätten auch andere Schnitzarbeiten gemacht. Die Wachposten hätten sie auch auf den Hof gebracht; dort hätten auch sie Frühstück bekommen. Es sei immer ums Essen gegangen in dieser Zeit.“ (10).

Unter der Hand sei erzählt worden, dass es auch Tote im Lager gab.

Nach einer kurzen Denkpause sagt sie: „Es war eine schlimme Zeit damals – nicht menschlich.“

Dann fragt sie sich: „Ist das Kultur?“ (11).

 

Das Sterben im Lager ist wohl im Dorf kein Geheimnis gewesen. Schilderungen der Kleidung, vor allem des Schuhwerks deuten auf Mangelversorgung hin. Die ersten Kriegsgefangenen, die im harten Winter 1941/42 im Wald starben, waren bereits im Sommer 1941 gefangengenommen worden und trugen keine Winteruniform. Einige Mäntel scheinen jedoch beschafft worden zu sein; so sagt H. Volkewien: „Gekleidet waren die Kriegsgefangenen in der kalten Jahreszeit mit Mänteln … Sie hatten keine angemessene Kleidung an den Füßen; zum Teil Holzschuhe mit Lederriemen.“ (12); die Mützen hätten wie Strümpfe ausgesehen.

Die Lebensbedingungen im Lager werden von einem Bürger Bad Rehburgs in einem an den Landforstmeister beim Landesforstamt in Sarstedt gerichteten Schreiben vom 22.10.1946 geschildert: „Treffend beleuchten die Berichte der Waldarbeiter die diabolische Behandlung und Unterernährung der russischen Kriegsgefangenen durch den Lagerverwalter und Forstmeister, der ja hauptverantwortlich für die Sache war. Von dem seinerseitigen Posten wurden die Gefangenen unberechtigt geschlagen und wenn sie im Sommer zur Arbeit geführt wurden, haben sie sich wie Tiere auf das Gras gestürzt.“ (13).

Der Forstmeister streitet die Misshandlungen im Lager nicht ab, er behauptet jedoch in seinem Schreiben an das Landesforstamt Hannover vom 31.12.1946, auf die Wachmannschaften eingewirkt zu haben, dass diese unterblieben (14).

Der Bürger Bad Rehburgs (Name ist in der Akte vermerkt) schreibt, in der Absicht, die Amtsenthebung des Forstmeisters zu erreichen. Er nimmt deshalb deutlich Bezug auf die Zielsetzung von Entnazifizierungsverfahren und betont die Notwendigkeit der Vertrauensbildung in die Demokratie. Er wird enttäuscht.

 

Auch zum Thema der Beerdigungen gibt der Bürger Bad Rehburgs Auskunft: „Gestorbenen russischen Gefangenen wurde ausdrücklich vom Forstmeister für die Ingrablegung das Einhüllen in eine Decke und das Behügeln des Grabes verboten. In einem Falle soll Herr Neumann, da er einen verstorbenen Russen in eine Decke gehüllt hatte, zur Verantwortung gezogen worden sein und die Decke ersetzt haben müssen. Es bleibt eine Tatsache, dass der Forstmeister sogar mit seinem Pferde die Gräber ‚eingeebnet‘ hat. Jetzt allerdings ha.. (unleserlich) die Anordnung getroffen, um die Grabstellen einen sauberen und schönen Raum zu erstellen.“ (15).

Diese Beschreibung des Umgangs mit verstorbenen Kriegsgefangenen deutet darauf hin, dass im Staatsforst Rehburg nicht einmal die allgemeinen Verwaltungsvorschriften für die Beerdigungen der Kriegsgefangenen beachtet wurden. Ein Einhüllen in Öl-, Teer- oder Asphaltpapier war der vorgegebene Mindeststandard, der in Anweisungen kommuniziert wurde.

Nach diesen Hinweisen ist davon auszugehen, dass im Winter 1941/42 die ersten Toten im Lagerbereich oder vor dem Lager beerdigt wurden.

Dies entspricht auch dem Bericht eines Haumeisters, der in der Nachkriegszeit – etwa 1948 oder 1949 schätzt er – einen Knochenfund südlich des Lagers bestätigt. „Es seien nicht viele Knochen gewesen. Es waren bereits reine Knochen… Der Rabattenpflug geht etwa 50 cm tief; der Pflug durchstreift den Boden in ca.150 Meter Abstand und die Schare weisen in zwei Richtungen. Diese Arbeiten fielen in den Bereich des Rehburger Forstamts, geleitet von Hans Heiseke. Dieser habe veranlasst, dass die gefundenen menschlichen Gebeine in eine Holzkiste kamen, die von der Tischlerei Engelke angefertigt werden musste. Außerhalb des evangelischen Friedhofs – hinter dem Friedhof, wo die Hütte von Herrn Krüger stand – wurde die Kiste in den Boden gelassen.“ (16).

Haarsträubend mag erscheinen, dass derselbe Forstmeister, der verantwortlich für das Lager war, der die Kriegsgefangenen hat sterben sehen und sie beerdigen ließ, nach dem Krieg mit der Beseitigung der Opfer, in gewisser Weise der Beweise des Verbrechens, betraut ist.

 

Der Zeitzeuge W. L. weiß von Gräbern der Opfer des Lagers im Staatsforst Rehburg auf dem jüdischen Friedhof in Rehburg zu erzählen. Belegt ist durch die Personalkarte des am 10. April 1942 verstorbenen Samuil Steschenko (XD 18601), dass es Beerdigungen auf dem jüdischen Friedhof in Stadt Rehburg gegeben hat. Die Grabnummer wird dort mit „Reihe 1, Grab 27“ angegeben, was auf eine Vielzahl von Beerdigungen auf diesem Friedhof hindeutet.

Hierzu der Zeitzeuge:

„Weit mehr Gräber russischer Kriegsgefangener habe es auf dem jüdischen Friedhof gegeben. Die Kriegsgefangenen des Lagers im Staatsforst seien dort beerdigt worden und hätten auf Veranlassung einer jüdischen Stelle, die er nicht kenne, wieder ausgebettet werden müssen: ‚Die Juden wollten ihren Friedhof wieder sauber haben.‘, meint der Zeitzeuge.“ (17).

Auch dies sei etwa in der Zeit 1948 oder 1949 gewesen.

„Dann sei auch der Sandabbau im Norden des Friedhofs gestoppt worden; denn man hatte Angst, dass auch die Grabsteine abrutschen könnten.“ (18).

Die Ausgrabungen mussten von Waldarbeitern des Forstamts vorgenommen werden, die vom Zeitzeugen namentlich genannt werden.

„Für die auf dem jüdischen Friedhof beerdigten Kriegsgefangenen wurden Einzelkisten angefertigt, ebenfalls von der Tischlerei Engelke. ‚Jeder bekam seine Kiste‘, sagt Herr L. auf Nachfrage. Auch diese Kisten wurden außerhalb des evangelischen Friedhofs beerdigt.“ (19).

 

Es gibt Berichte aus anderen Forstämtern im Zuständigkeitsbereich der Klosterkammer, die belegen, dass das Vorarbeiterpersonal im Laufe des Krieges zu Hilfswachposten ausgebildet wurde. Die Landesschützenbataillone verfügten offensichtlich nicht immer über hinreichend Personal, so dass der Gebrauch der Waffe auf die Vorarbeiter ausgedehnt wurde.

Der Zeitzeuge aus Rehburg Herr W. L. bestätigt den Personalmangel bei den Wachbataillonen und meint, diese seien im Laufe des Krieges immer älter geworden. (20).

 

Das Lager im Buchholz Rehburgs war im Jahre 1945 noch belegt.

Auf dem letzten Dokument des Arbeitskommandos 5790 (21) ist am 26.03.1945 noch ein Abgang verzeichnet: Nikolay Masukow (XB 123515) wird in das Lazarett Sandbostel verlegt.

Im April 1944 gab es einen Wechsel in der Leitung des Arbeitskommandos im Klosterforstamt Rehburg. Forstmeister Heiseke wurde vorübergehend nach St. Andreasberg und Oderhaus zur Leitung von Waldeinsätzen (22) abgeordnet. Seine Vertretung übernehmen zunächst Forstmeister Wallmann – vorher in Haste tätig – und im Februar 1945 Forstmeister Barchewitz.

Forstmeister Wallmann teilt am 21. Januar 1945 dem Herrn Pr. Landforstmeister in Sarstedt mit, dass das „Russenlager …. von 30 Russen belegt ist … 28 Russen (2 sind Handwerker und unterstehen der Heeresverwaltung) gehören (Hervorhebung durch die Verf’in) dem Kreisbauamt in Nienburg und führen Bachregulierungsarbeiten aus.“ (23).

 

Die Sprache bezüglich der Zwangsarbeiter ist bis zum Ende des Krieges von Verdinglichung geprägt, die ihnen entgegengebrachte Haltung ist entwürdigend.

Die sowjetischen Kriegsgefangenen werden wie sich verschleißende und profitabel einzusetzende Arbeitsinstrumente gesehen.

Christian Hellwig schreibt hierzu: „Mag der Einsatz von ausländischen Arbeitskräften während des Krieges nach der damaligen Logik vor dem Hintergrund eines sich immer weiter verschärfenden Arbeitskräftemangels somit in gewisser Weise zwangsläufig gewesen sein, ändert dies nichts daran, dass die auf diese Art und Weise generierten Erträge und Gewinne nur aufgrund der unrechtmäßigen Ausbeutung der … ausländischen Arbeitskräfte möglich gewesen sind.“ (24).

 

Von der Auflösung des Lagers im Jahre 1945 ist bisher nur wenig Konkretes bekannt. Die Wachmannschaften sind geflohen am 8. April beim Einmarsch der englischen Truppen, die von Loccum aus nach Rehburg einfuhren.

Kriegsgefangene hätten sich weiterhin im Dorf aufgehalten und um Nahrung gebeten. „Die Mutter von Herrn W. L. habe immer hinter der Haustür einen Korb mit Kartoffeln und Speckscheiben stehen gehabt und diese verteilt, wenn jemand darum bat.“ (25).

Das Lager wurde nach der Befreiung geplündert, darin stimmen die Zeitzeugen überein. Vieles sei abgetragen worden und habe nach Kriegsende als Baumaterial Verwendung gefunden. Herr G. A. weiß zu berichten, dass die Fliesen der Küche bei seiner Schwester zur Pflasterung eines Gartenweges Verwendung fanden. (26).

Er kann auch erzählen, dass in seinem Elternhaus ein sowjetischer Kriegsgefangener aus dem Lager in der Innenstadt Rehburgs (AK 5971) tätig war, der trotz der Zurechtweisungen des einflussreichen Sägewerkbesitzers am Küchentisch mit seiner Familie gegessen habe. Sein Vater habe dies jedoch dem Besitzer des Sägewerks gegenüber mit seinem Grundsatz verteidigt, jedem der in seinem Hause arbeite, gebühre auch ein Platz am Esstisch. Der Zwangsarbeiter habe Peter geheißen und sei aus Smolensk gekommen. Nach dem Ende der Kampfhandlungen in Rehburg sei er für ein paar Tage verschwunden gewesen, und bevor er sich endgültig nach Smolensk verabschiedete, wo er seine Mutter suchen wollte, sei er plötzlich mit zwei Pferden zurückgekommen, die er der Familie überließ. Woher sie kamen, konnte nie aufgeklärt werden. (27).

 

 

Zu 2 Das Verwaltungsgeflecht von Forstamt und Klosterkammer zur Auszehrung der sowjetischen Kriegsgefangenen im Staatsforst Rehburg – Ein Gegenmodell zur NS-Propaganda vom Deutschen Wald

 

Derselbe Wald, der drei Jahre später zum Todeslager wurde, wird 1938 Gegenstand einer Schulstunde, und der Aufsatz einer Schülerin, den sie nach dieser Stunde in bestem Sütterlin zu schreiben hatte, ist erhalten.

Die von der NS-Ideologie verbreitete Vorstellung vom deutschen Wald, ein Idyll und eine oft bemühte Projektionsfläche, wird in dieser Stunde thematisiert.

Mancher Mensch suchte in ihm schon Erholung, Ruhe und Frieden“, schrieb die Schülerin Marie Haase im Jahre 1938 in Rehburg in ihr Schulheft. „Der schöne Wald, der oft von hellem Kinderjauchzen widerhallt“ (28), werde jedoch häufig vernichtet, fährt sie fort.

Die Klasse war von ihrem Lehrer Herrn Hermann Schwarze so belehrt worden, und sie habe den Lehrervortrag zu Hause in einem Aufsatz nacherzählen müssen, vermag die 96jährige Frau heute noch zu berichten.

Mehr jedoch als das Idyll des schönen Waldes steht auch in der NS-Zeit die betriebswirtschaftliche Nutzung des Waldes im Zentrum. Ökonomische Gesichtspunkte bestimmen den Umgang mit der Ressource Wald, der als Kapital und Rohstoff der Kriegswirtschaft betrachtet wird.

Selbst in dem Schulaufsatz der damals 13jährigen Schülerin wird der doppelte Blick auf den Wald formuliert, wenn sie vor dem Hintergrund eines Waldbrandes in Rehburg in einer vom Nationalsozialismus gezeichneten Sprache schreibt:

„Jährlich vernichten zahllose Brände wertvolles deutsches Volksgut. Jeder Volksgenosse kann bei der Brandbekämpfung mithelfen, indem er die Frevler aufklärt. …

Große Stücke des herrlichen Deutschen Waldes werden so zerstört. Und warum – oft durch eine achtlos fortgeworfene Zigarette. Ein jeder Volksgenosse ist mit verantwortlich. Es ist eines jeden Pflicht, durch Achtsamkeit mitzuhelfen, das deutsche Nationalvermögen, aber auch die Stätten, die uns Stärkung an Leib und Seele bieten, zu erhalten. Darum gilt es, den Waldfrevler auszurotten.“ (29).

 

Das konkrete durch Brand vernichtete Waldstück, auf das sich die 13-jährige Schülerin im Jahre 1938 bezieht, ist das Gebiet, in dem die sowjetischen Kriegsgefangenen im Arbeitskommando AK 5790 zum Einsatz kamen.

Das Waldstück war im Besitz der Klosterkammer Hannover (heutiger Besitzer: Landesforsten) und hatte damals die Bezeichnung „Jagen 44“, wie ein Zeitzeuge, der nach dem Krieg in diesem Forst als Haumeister arbeitete, berichtet.

Das große Waldstück im Bereich Hüttenmoor war im Mai 1938 von einem Waldbrand heimgesucht worden. Die örtlichen Feuerwehrleute hatten selbst unter der Mitwirkung aller Rehburger Bürger, den Brand nicht unter Kontrolle bekommen können, so dass ein Großeinsatz mit ca. 3000 Feuerwehrleuten gerufen wurde.

„Bei Bad Rehburg (NI) bekämpfen Feuerwehren und ca. 3000 Helfer mehrere Tage einen Wald- und Moorbrand, der sich zeitweise auf eine Länge von 15 km und eine Breite von 6 km ausdehnt. (National-Zeitung v. 17.05.1938).“ (30).

 

Die schnelle Wiederaufforstung wird für so dringlich gehalten, dass der Forstmeister Hans Heiseke, der das Arbeitskommando der sowjetischen Kriegsgefangenen (AK 5790) später leitete, dies als anerkannten Gesichtspunkt voraussetzt, wenn er am 27. März 1939 mit der Bitte an das Wehrkreiskommando („Wehrbereichskommando“ schreibt Hans Heiseke) Nienburg herantritt, ihn „in diesem Jahr von der Übung zurückzustellen.“ (31). In der Begründung heißt es wörtlich, dass „in diesem Jahre die großen Waldbrandflächen (ca. 40 ha.) wieder aufgeforstet werden müssen“ (32).

Der „Staatsforst Rehburg“, von der Klosterkammer, die die jährlichen Bilanzen des Forstamts Rehburg erhält, als langfristig gewinnbringende Einnahmequelle gedacht, wurde noch ein zweites Mal von Naturgewalten heimgesucht.

Am 14.11.1940 vernichtete ein Sturm einen Teil des Waldes, so dass Aufräum- und Wiederaufforstungsarbeiten vonnöten waren. Es standen jedoch besonders nach der Rekrutierungswelle zum Überfall auf die Sowjetunion keine Arbeitskräfte vor Ort zur Verfügung.

Diese politisch herbeigeführte Situation, die den systematischen Einsatz von Kriegsgefangenen als Ressource vorsah, war für das Forstamt Rehburg Anlass, die Zuweisung von sowjetischen Kriegsgefangenen zu beantragen. Das Forstamt Rehburg war eins der 13 Forstämter der Klosterkammer Hannover, die in der NS-Zeit vorübergehend in „Staatliche Kulturfondsverwaltung“ umbenannt wurde. Sie war Eigentümerin des Staatsforstes Rehburg, an verschiedenen Stellen auch „Klosterforst“ genannt, obwohl er nicht zum nahe gelegenen Kloster Loccum gehört.

Das Dokument des ersten Antrags auf Zuweisung von Kriegsgefangenen konnte bisher nicht gefunden werden; es ist jedoch eine Quelle erhalten, in der dem Forstamt die zusätzliche Übersendung weiterer Kriegsgefangener aus dem nahegelegenen Lager in Husum genehmigt wird.

 

Das Antragswesen mag hierarchisch und bürokratisch anmuten, in Entscheidungen zum Einsatz der Kriegsgefangenen konnte das Forstamt unter der Maßgabe der Wirtschaftlichkeit eigenständig handeln und war somit auch wie ein Unternehmen verantwortlich für die Gestaltung des Arbeitskommandos und – heute würde man sagen – für den zu gewährleistenden Arbeitsschutz der Gefangenen.

Die Behandlung der Kriegsgefangenen in Rehburg stellt eine eklatante Menschenrechtsverletzung dar, die gegen die am 27. Juli 1929 festgelegten Normen zur Behandlung von Kriegsgefangenen der Genfer Konvention, verstieß. Die häufig angeführte Rechtfertigung, die Sowjetunion habe das Abkommen nicht unterzeichnet, ist schon deshalb irreführend, da das Abkommen die Selbstverpflichtung der unterzeichnenden Staaten benennt, völlig unabhängig von potenziellen Verletzungen dieser Pflichten einer anderen Seite.

Die Ernährung der Kriegsgefangenen wird durchweg als katastrophal bezeichnet. Oft ist nicht einmal das Freibankfleisch von hinreichender Qualität. Einem 1946 verfassten Schreiben des Forstmeisters, der sich des Vorwurfs der Kooperation erwehren möchte, ist zu entnehmen, dass der namentlich genannte Koch selbst noch für die Gefangenen vorgesehene Lebensmittel beiseiteschaffte, wodurch er seine Unabkömmlichkeits-Stellung (UK-Stellung) einbüßte. (33).

Aus anderen Lagern ist bekannt, dass sich Arbeitgeber, so der Viehwirtschaftsverband Weser-Ems, nicht etwa aus humanitären Gründen über die schlechte Ernährung beschweren, sondern aus ökonomischen. (34).

In der Behandlung der sowj. Kriegsgefangenen tritt ein deutlicher Widerspruch zutage: Einerseits ist der Rassismus des Nationalsozialismus von einer Geringschätzung osteuropäischer Menschen geprägt und nimmt die Vernichtung dieser Menschen in Kauf, andererseits wird aus rein ökonomischen Erwägungen, nicht aus moralischen, deren Leben als Arbeitskraft für die Kriegswirtschaft als erhaltenswert erachtet. Ein sadistisches Kalkül, das nicht einmal versteckt wird.

In einem Schreiben vom 15.11.1941, zum Zeitpunkt als auch das Lager in Rehburg im Aufbau begriffen ist, bringt der Forstmeister des preußischen Forstamtes Nienover, ebenfalls zur Klosterkammer gehörend, dieses Kalkül in einem Schreiben an den Landesforstmeister in Hildesheim auf den Punkt, indem er nach Auflistung der Anschaffungsutensilien für das Lager wie Waschgeschirr, Strohsäcke, Decken und anderes mehr, zu dem Ergebnis kommt: „Der Einsatz der Russen wird sich recht teuer stellen und die Leistungen werden gering sein.“, aber am Ende einlenkend meint: „Wenn die Russen auskömmlich ernährt werden …. sollen die Russen recht brauchbar sein.“ (35).

Nach dem Einmarsch in die Sowjetunion war die Wehrmacht zunächst davon ausgegangen, den räumlichen Eroberungen im Osten entsprechend, Kriegsgefangene als Arbeitskräfte in das Deutsche Reich zu senden. Da der Vormarsch jedoch schon 1942 ins Stocken geriet und die Niederlage bei Stalingrad endgültig die Wende einläutete, verlangsamte sich der Nachschub an importierten Arbeitskräften aus dem Osten und die Politik der „Vernichtung durch Arbeit“ wich einer gezielteren Nutzungsstrategie der Ressource Arbeitskraft. Das ökonomische Interesse an der Ausnutzung der Arbeitskraft korrespondierte nicht durchgehend mit einem rassistisch motivierten Vernichtungswillen vermeintlich minderwertiger Menschen aus dem Osten Europas. In diesem Zusammenhang wurden sogenannte „Aufpäppelungslager“ eingerichtet, in denen Kriegsgefangene hinreichend ernährt wurden, ausschließlich zu dem Zweck, sie wieder als Arbeitskraft verschleißen zu können.

Das Sinken der Sterberate im Rehburger Staatsforst ist in diesen Kontext zu stellen. Der Nachschub an Kriegsgefangenen geriet ins Stocken, so dass dem Erhalt der Arbeitskraft mehr Bedeutung zugemessen wurde und ein Ringen um deren Zuweisung begann. So bedauert der Landrat in Nienburg/Weser, keinen „Druck auf den Wasser- und Bodenverband Wurmgrabenniederung zur Abgabe der Kriegsgefangenen ausüben zu können“; denn die „aufpäppelungsfähigen Kriegsgefangenen haben die Bauern aus Balge und Umgebung mit vielen geldlichen Opfern so weit in ihrer Arbeitskraft verbessert, daß sie allmählich den Anforderungen genügen.“ (36).

Es konnte bisher nicht geklärt werden, ob ein direkter Dialog über die Lage der Gefangenen zwischen dem Forstamt Rehburg und der Klosterkammer geführt wurde. In den bisher gesichteten Akten der Klosterkammer ist kein unmittelbarer Schriftwechsel zwischen Forstamt und Klosterkammer hinterlegt, der die Behandlung der Gefangenen zum Gegenstand hat, wohl aber die jährlich erfolgte und der Klosterkammer übermittelte Bilanzierung der Einnahmen und Ausgaben bezüglich des Waldbestandes im Zuständigkeitsbereich des Forstamtes. Auch Anweisungen zur Form der Auflistung der Werbungskosten, die die Kriegsgefangenen betreffen, sind erhalten. Somit werden die Kriegsgefangenen unhinterfragt als notwendige Arbeitskräfte der Klosterkammer gesehen, ohne deren Auszehrung zum Gegenstand zu machen.

Im Erlass des Reichsforstmeisters aus dem Jahre 1944, den auch die Klosterkammer zu beachten hat, heißt es: „Alle aus der Beschäftigung von Kriegsgefangenen entstehenden Kosten sind von der Kasse bei den Holzwerbungskosten in einem besonderen Abschnitt ‚Kosten des Einsatzes von Kriegsgefangenen‘ zu buchen.“ (37).

Am 8. Mai 1943 hält der Präsident der Klosterkammer Albrecht Stalmann anlässlich des 125jährigen Bestehens der Klosterkammer eine sehr lange Rede, deren Wortlaut den Forstämtern zugesandt wird.

Sie ist in einer der wenigen erhalten Akten des Forstamts Rehburg zu finden. (38).

Es ist eine breit angelegte Rede mit verschiedenen Schwerpunkten.

Sie nimmt u. a. auch Bezug auf die Anlässe, die die Anforderung von sowjetischen Kriegsgefangenen als Arbeitskräfte nach sich zogen. „Einen größeren Waldbrand haben wir außerdem am 13.V.1938 im Forstamt Rehburg gehabt, bei dem 160 Morgen Altbestände durch Feuer vernichtet wurden …. Eine besondere Naturkatastrophe war der schwere Windbruch am 14.11.1940, in dem in unseren Wäldern in wenigen Stunden, und zwar besonders in den Forstämtern Rehburg, Osnabrück, Wennigsen und Miele über 220 000 fm geworfen wurden.“ (39).

Dennoch wird für das Jahr 1941 ein Überschuss erwirtschaftet, der die durchschnittliche Jahreseinnahme um mehr als das Doppelte übersteigt. Dieser beläuft sich auf 2.624.000 RM, so Albrecht Stalmann in seiner Rede aus dem Jahre 1943.

Es finden sich keine Angaben, wie dieses Holz in den Kriegsjahren trotz mangelnder Arbeitskraft geerntet und offensichtlich auch vermarktet werden konnte. Nur ein abstraktes Sich-Fügen in die scheinbaren Notwendigkeiten der Kriegswirtschaft ist erkennbar, wenn Albrecht Stalmann sich den Gegebenheiten anpassend sagt: „Die jetzigen Verhältnisse in der Forstwirtschaft sind bekannt. Seit Jahren muss ein Holzeinschlag durchgeführt werden, der den normalen Holzeinschlag weit übertrifft, doch handelt es sich auch hierbei um eine Kriegsmaßnahme, die wir auf uns nehmen müssen, wenn man auch der weiteren Entwicklung nur mit Sorge entgegensehen kann.“ (40).

Wie Albrecht Stalmann die Situation in den Klosterforsten beschreibt, in denen die Kriegsgefangenen unter menschenunwürdigen Bedingungen vor aller Augen arbeiten und auch sterben, muss Erstaunen hervorrufen: „Die Klosterforsten selbst befinden sich …. in einem äusserst gepflegten Zustande.“ (41).

Erkennbar ist die selbstständige Eingliederung der Klosterkammer in die Kriegswirtschaft bei gleichzeitiger Ignoranz der Arbeitsbedingungen in ihrem Zuständigkeitsbereich.

 

Nicht nur der Präsident der Klosterkammer nimmt die Realität in ihren Forstämtern nicht in den Blick. Auch der Forstmeister des Klosterforstamts Rehburg beschäftigt sich – man mag es für eine Szene halten, die in einer Tragikomödie ihren Platz hätte – inmitten des Krieges, der Mangelsituation und der hungernden Kriegsgefangenen mit einem Antrag auf einen neuen Hut. Am 21. Oktober 1942 wird der Hut beantragt mit Anheftung eines „U=Bezugsscheins“. Einige Seiten füllen das Genehmigungsverfahren um den Antrag, und die Frage wird verhandelt, ob denn das Bedürfnis eines neuen Huts seine Berechtigung habe. Am 23. Oktober wird der Antrag zunächst zurückgewiesen; es entsteht ein Schriftwechsel, in den sich auch der Landforstmeister einschaltet. „Vermerk: Wie Herr Landforstmeister mitteilt, ist der Hut Heiseke’s in einem solchen Zustande, daß die Anschaffung eines neuen Hutes unbedingt erforderlich ist.“ (42).

 

Der Leiter des Klosterforstamtes in Rehburg, wird, wie oben schon erwähnt, im April 1944 zur Vertretung in St. Andreasberg und Oderhaus eingesetzt. Auf Antrag bleibt er weiterhin dem Wehrkreis X (Nienburg) zugeordnet, was ihn wahrscheinlich vor einer Einberufung in den letzten Kriegsmonaten schützt (43).

Hintergründe dieser Versetzung sind nicht bekannt. Sie scheinen jedoch nicht in seiner Amtsführung in Rehburg begründet zu sein, sondern müssen eher in der Bedeutung der neuen Aufgabe in St. Andreasberg gesucht werden.

Auch Peter-Michael Steinsiek ist verwundert über das Ausmaß an sowjetischen Gefangenen, die in den Harz verlegt werden, aus Orten im Landkreis Nienburg, den Orten Binnen und Schessinghausen und sogar aus der Rüstungsindustrie, den Hermann-Göring-Werken. (44).

Dies widerspricht dem Primat der Rüstungsförderung. Üblicherweise verläuft die Versetzung in umgekehrter Richtung.

Der Forstmeister berichtet 1946 in seiner Stellungnahme zum Schreiben eines Rehburger Bürgers, der den Zielsetzungen der Entnazifizierung Geltung verschaffen möchte, auch Einzelheiten zu seiner Versetzung und Tätigkeit im Harz: „Als ich im April 1944 nach dem Harz versetzt wurde, erhielt ich den Auftrag, einen Teil der Gefangenen mit nach dort zu nehmen. Die Verpflegungslage im Harz war nicht nur für die Gefangenen, sondern auch für die deutschen Waldarbeiter kritisch. Es gelang mir aber durch zusätzlichen Ankauf von Lebensmitteln bei Rehburger Landwirten und durch Zurverfügungstellung von Kartoffeln aus meiner eigenen Landwirtschaft, die Verpflegungslage wesentlich zu bessern. Nach dem Zusammenbruch, als im April das Lager aufgelöst wurde, begaben sich die Gefangenen, welche ich aus Rehburg mitgebracht hatte, wieder nach Rehburg zurück.“

(45).

 

Der Forstmeister Hans Heiseke übernimmt laut Vermerk vom 13. Juli 1945 nach Kriegsende wieder das Rehburger Forstamt, dessen Verwaltung am 26. Februar von Forstmeister Wallmann auf Forstmeister Barchewitz übergeben war (46).

Bezeichnend ist, dass in dem Vermerk zur Wiedereinsetzung des Stelleninhabers ein Hinweis auf das Lager im Staatsforst zu finden ist, der eine unübersichtliche Aktenlage suggeriert und geeignet wäre, die Aktenvernichtung im Forstamt vorzubereiten, wenn die Akten zu diesem Zeitpunkt nicht schon vernichtet waren. Es heißt im Vermerk: „Sämtliche Dienst- und Schriftstücke wurden dem Forstmeister Heiseke übergeben und von ihm übernommen, soweit sie nicht während des Feindeinmarsches abhanden gekommen sind oder wie z. B. im Russen-Barackenlager von Russen und Deutschen nachträglich gestohlen wurden.“ (47).

 

Interessant ist es, das Augenmerk auf das Detail des in der Verwaltung offensichtlich so wichtigen Symbols der Verwendung des Briefkopfes zu richten und dessen Verwendung zu betrachten.

Die Forstämter der Klosterkammer stellen ihren Briefkopf, der in der zweiten Zeile immer noch den in der NS-Zeit verwendeten Begriff „Staatliche Kulturfondsverwaltung“ enthält, nach und nach, aber durchaus zeitnah um. Sie sind erfinderisch, streichen durch, schreiben das Wort „Klosterkammer“ z. T. darüber oder machen sich einen eigenen neuen Briefkopf, erst einmal nur mit Schreibmaschine.

Anders das Rehburger Forstamt, das sich in Gesellschaft mit dem in Osnabrück weiß.

Selbst wenn man den Gesichtspunkt der Knappheit von Papier in Betracht zieht und davon ausgehen kann, dass man sich in der Nachkriegszeit bemühte, veraltetes Papier möglichst weiterzuverwenden, muss man feststellen, dass dies nicht der leitende Gedanke war. Der Leiter des Forstamts Rehburg benutzt einen grünen Stempel als Briefkopf, den er, obwohl er leicht austauschbar gewesen wäre, weiterverwendet, als hätte es mit der Befreiung keinen Bruch in der Geschichte gegeben, keine Stunde Null, sondern Kontinuität.

Der Leiter des sich im Zuständigkeitsbereich der Klosterkammer befindenden Rehburger Forstamtes, der Auftraggeber des AK 5790 und zuständig für die Arbeitsbedingungen zur Zeit des Krieges, bleibt nach Kriegsende im Amt.

Aber auch der Präsident der Klosterkammer Albrecht Stalmann, der sich in seiner Rede vom 8. Mai 1943 noch mit den Zielsetzungen des Nationalsozialismus im Einklang weiß, obwohl auch partielle Differenzen um Besitztümer bestehen, gibt sich in seiner kurz nach Kriegsende gehaltenen Rede mit genau abgewogenen Worten als reflektierter Geist, dem es gelungen sei, die Klosterkammer über die NS-Zeit zu retten. Nach anfänglicher Betonung der existentiellen Bedrohung der Klosterkammer wird das dem guten Verhandlungsgeschick zugeschriebene Bewahren der Klosterkammer herausgestellt, ohne die – nicht zuletzt auf den Einsatz von Zwangsarbeit zurückzuführenden – positiven Gewinnbilanzen zu erwähnen. Statt dessen werden Kooperation und Verwaltung der Klosterkammer besonders hervorgehoben: „Auch der Sachbearbeiter für die Hannoverschen Klosterforsten im Preußischen Landesforstamt, Oberlandforstmeister Gerrlein, hat sich in diesen Verhandlungen durchaus loyal gezeigt und betont, daß das Interesse der Landesforstverwaltung nur dahin gehen könne, daß eine ordnungsgemäße Verwaltung der Klosterforsten gewährleistet sei, das aber sei, wie er anerkennen müsse, auch bei der gegenwärtigen Organisation der Fall, so dass das Preußische Landesforstamt auf eine Änderung der bestehenden Organisation keinen Wert legte.“ (48). Dieser schon in den 30er Jahren erzielte Konsens hatte Bestand und war die Basis für die Kooperation – auch in Sachen der Produktion in den Forstämtern durch den Einsatz von Zwangsarbeit.

In aller Deutlichkeit beschreibt Albrecht Stalmann das „In-den-Dienst-Nehmen“ der Klosterkammer durch das NS-System, nicht um dadurch die Verwicklung zu betonen, sondern um zu bedauern, dass Entscheidungskompetenz nach oben abgegeben werden musste. „Von nun an waren die Erlasse, die vielfach von einem parteipolitischen Standpunkt diktiert waren, jedoch für die Klosterkammer bindend, …“ (49).

Es geht um den Grad des Bewahrens von Autonomie, um Besitz, besonders der Forstbetriebe als Basis für die guten Bilanzen, niemals um Arbeitsbedingungen in der Forstwirtschaft. Eine Eigenständigkeit in der Kassenführung bewahrt zu haben, wird als Erfolg gewertet. Genauer gesagt, heißt dies, die volle Verantwortung für den Verschleiß bzw. auch für die Vernichtung der Kriegsgefangenen auf sich zu nehmen; denn die für ihren Einsatz abzuführende geringe Summe war als Werbungskosten in die Bilanzen einzurechnen. Aber dieser Zusammenhang ist nicht im Blick.

Albrecht Stalmann bedauert, in den Verhandlungen mit der von Rüstungsinteressen geleiteten Montanindustrie dennoch unterlegen gewesen zu sein und führt dies an dem Beispiel des Rehburger Klosterforstes aus: „Zu einem größeren Vertragsabschluss mit der Montan-Industrie ist dies nur in einem Falle gekommen. Es wurde von dem Klosterforst Rehburg eine Forstfläche in Größe von 63 ha an die Montan-Industrie verkauft.“ (50).

Das Rehburger Forstamt bleibt zuständig für die Begrünung, die Tarnung des Geländes in Leese, in dem Kampfstoffe hergestellt werden sollen. Das Gelände ist nur ca. sieben Kilometer vom Lager im Staatsforst Rehburg entfernt. Im Jahre 1945 stellt die Klosterkammer Forderungen an Riedel de Haën, die die Firma zurückweist mit den Worten: „Es handelt sich um eine reine Reichsanlage, für die wir nur nach aussen als Eigentümer auftraten. Die Anlage ist inzwischen von den Engländern besetzt und jede Verfügungsgewalt ist uns entzogen.“ (51). Dennoch werden der Klosterkammer von der Montan-Industrie die vertragsgemäß vereinbarten 600 RM „für die Betreuung des Forstgeländes“ gezahlt (52), bis es später zu Neuverhandlungen kommt.

 

So wie der Leiter der Klosterkammer Albrecht Stalmann unangetastet bleibt und im Entnazifizierungsverfahren mit „N“ (No-objection) eingestuft wird, so wird auch mit dem Leiter des Klosterforstamtes Rehburg Hans Heiseke verfahren, obwohl viele Hinweise zu seiner Führung des Lagers der sowjetischen Zwangsarbeiter im Staatsforst Rehburg einer gründlicheren Überprüfung bedurft hätten.

Am 20. Dezember 1946 erhält Hans Heiseke ein Schreiben, das ihn vor Verfolgung und Amtsenthebung bewahrt:

„Nach Mitteilung der Militärregierung – PS 504 – Hannover vom 21. November 1946 Nr. 44676 hat Ihre Politische Überprüfung als Forstmeister die Note „N“ No objection ergeben.“ (53). Er sei kein politischer Aktivist gewesen, ist eine Redewendung, die sich als Standardformulierung in den von ihm angeführten Zeugenberichten wiederholt.

Nach der damals bereits vorhandenen Personalakte, die das Land Niedersachsen von der preußischen Verwaltung übernahm und weiterführte, wäre vielleicht auch ein anderes Ergebnis denkbar gewesen. Hans Heiseke bewarb sich am 4. September 1935 aktiv um die Teilnahme an einem Reichswehrlehrgang. Er führte am 6. November unter dem Betreff „Jahresberichte der Forstverwaltungsbeamten“ an den Preußischen Landesforstmeister im Regierungsforstamt Hannover/Osnabrück an: „Ich gehöre nachfolgenden der N.S.D.A.P. angeschlossenen Verbände an: N.S.V., R.D.B, R.L.B.“ (54).

In seinem Berichtskatalog, das u. a. Grundlage des Entnazifizierungsverfahrens ist, gibt Hans Heiseke an, dem N.S.V. angehört zu haben und fügt ergänzend noch handschriftlich hinzu: „SA Reitersturm.“ (55).

Die Argumentation gegenüber seinem Dienstherrn, in der sich der Forstmeister bemüht, die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen zu entkräften, ist an der Grenze der Verspottung, wenn er am 31.12.1946 seine Tätigkeit als Scharführer des Reiter-Korps wie folgt beschreibt: „Der Dienst bestand im allgemeinen daraus, daß man sonnabends bei einem Glas Bier zusammensaß und sonntags die von der Wochenarbeit müden Pferde fuhr und ritt.“ (56).

 

Weitere Bemühungen, das nicht normenkonforme Handeln des Forstamtes Rehburg in die Öffentlichkeit zu tragen, werden zum Teil gerichtlich unterbunden.

So griff der Journalist Eduard Wald im Jahre 1954 die Arbeitsbedingungen im Klosterforstamt Rehburg auf und skizziert in einem Aufsatz der Beilage der Gewerkschaftszeitschrift „Welt der Arbeit“ die Vorwürfe, die gegen die Leitung des Forstamtes erhoben werden. (57).

Letztlich muss Eduard Wald, ein im Nationalsozialismus Verfolgter, dem Lothar Pollähne, Bezirksbürgermeister Hannovers, eine Biographie widmete, seine Vorwürfe zurücknehmen. Das Amtsgericht Hannover (115 – 38/55, 2 Ms 5/55) stellt zwar 1955 das Verfahren wegen „Beleidigung pp.“ ein, die Kosten jedoch werden dem Journalisten auferlegt (58).

 

Somit werden die Arbeitsbedingungen im Forstamt nochmals aus dem Fokus genommen und die Chance der gründlichen Aufarbeitung vertan.

Der Artikel führt jedoch dazu, dass das Überreichen einer Glückwunschurkunde für den Forstmeister hinausgeschoben wird, bis sich die Wogen geglättet haben.

 

Wie ein roter Faden ziehen sich Grenzüberschreitungen und Aggressionsbereitschaft durch die Schriftstücke, die den beruflichen Werdegang des Forstmeisters dokumentieren.

Ein Jagdunfall, in dem der eindeutige Beweis, den Rittergutsbesitzer von Möller absichtlich angeschossen zu haben, letztlich nicht erbracht werden kann, Ermahnungen wegen eigenmächtigen Handelns bereits in der Referendarzeit. In den Akten niedergelegte Schreiben eines Forstlehrlings, der den Forstmeister der unwaidmännischen Jagd bezichtigt. Die Holzwirtschaft wird in seinen Augen so betrieben, dass sie nicht korrekt dokumentiert wird. Da dies den beruflichen Leitlinien seiner Ausbildung nicht entspricht, legt dies der Referendar schriftlich nieder. (59). Vorwürfe, die Entnahme von Wild in der Weihnachtszeit nicht angezeigt, sondern im privaten Rahmen verwertet zu haben. Viele Anschuldigungen, die letztlich vollständig zurückgewiesen werden, lassen dennoch das Bild eines Forstamts entstehen, in dem private Lebensführung und Dienstausübung keine Trennung erfahren. Lehrlinge beschweren sich auch über Arbeitseinsätze auf einem Privatgrundstück des Forstmeisters.

Im Jahre 1952 möchte der Forstmeister als Privatperson eine Waffe, eine „Bockbüchsflinte mit Zielfernrohr“, im Wert von 600 DM erwerben, eine beträchtliche Summe, die er nicht sofort aufbringen kann. Deshalb bittet er die einzelnen Bestandteile des Gewehrs aufführend und zusammenrechnend, um einen Vorschuss seiner Dienststelle. Der formlose Antrag wird über den Präsidenten der Klosterkammer an den Regierungspräsidenten Hannover unter dem Betreff „Gehaltsvorschuß zur Wiederbeschaffung von Waffen“ eingereicht (60). Der Vorschuss wird ihm gewährt, und vom 1. Januar 1953 an werden monatlich 30,- Euro von seinem Gehalt abgezogen.

 

Dieses kleine als nebensächlich erscheinende Detail steht sicherlich nicht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Behandlung der Kriegsgefangenen, deutet aber darauf hin, dass es lohnenswert wäre, die Biographie des Forstmeisters deutlicher zu ergründen.

Seltsam erscheint die Aura der Unantastbarkeit, mit der der Forstbeamte umgeben ist.

 

Christian Hellwig fasst das Handeln der Klosterkammer im Nationalsozialismus mit den Worten zusammen: „Zum einen sind von der Klosterkammer verwaltete Liegenschaften und Landflächen Schauplätze nationalsozialistischer Verbrechen gewesen. Zum anderen hat die Klosterkammer wiederholt Landflächen verpachtet oder verkauft, die in der Folge genutzt wurden, die Infrastruktur des nationalsozialistischen Systems aus Rüstung, Ausbeutung und Zwang auszubauen.“ (61).

So wurde auch das Forstamt Rehburg in den Dienst nationalsozialistischer Herrschaft gestellt und hatte in seinem Forstmeister einen Vertreter vor Ort, der den vorgegebenen Rahmen ausfüllte und eigenständig agierte.

 

 

Zu 3

Der Vernichtungskrieg der Wehrmacht im Osten als Grundlage und Pendant für die Auszehrung und Vernichtung der Kriegsgefangenen im Westen, zwei Seiten desselben Geschehens (Ein Schulprojekt)

 

Diesem Zusammenhang könnte sich ein Schulprojekt widmen.

Der Vernichtungskrieg im Osten und die Auszehrung der Kriegsgefangenen im Westen sind zwei Seiten desselben Verbrechens.

Dieser historische Zusammenhang ließe sich in diesem Projekt sogar direkt an Personen nachvollziehen.

Der in Rehburg erschossene Kriegsgefangene Stepan Kargusow wurde laut Personalkarte in Staraja Russa am Ilmensee gefangen genommen. Genau dort waren Soldaten aus Rehburg, die auch namentlich benannt werden können. Es sind sogar Feldpostbriefe und in der Sowjetunion aufgenommene Fotos von ihnen vorhanden.

Sie gehörten zur Heeresgruppe Nord, die von Ostpreußen aus in den Krieg zog und einen Teil der Menschen verschleppte, die in Rehburg unter unmenschlichen Bedingungen zur Zwangsarbeit gezwungen wurden.

Diesen Zusammenhang anhand der Orte in den baltischen Staaten und dem heutigen Russland herauszuarbeiten – das wäre ein Novum.

Eine erste Idee der anschaulichen Darstellung auf einer großen Karte ist geboren:

Aber die bisher angesprochenen Schulen tun sich mit Blick auf die Kerncurricula sowie die aktuellen Hinweise zum Abitur schwer, dieses Projekt in der Schule zu verankern.

-----------------------------------------------------

Der in Rehburg gefangen gehaltenen und gestorbenen Menschen sollte würdig gedacht werden.

Dafür müssen noch Ausdrucksformen gefunden werden.

Zunächst ist jedoch noch Forschung und Aufklärung zu leisten. Die mit der Naziherrschaft verwobene Geschichte hat das Leben der Menschen im Kriegsgefangenenlager im Staatsforst Rehburgs deutlich gezeichnet. Sie zu erarbeiten ist die Voraussetzung, ihnen Respekt zu erweisen.

 

 

Ich bedanke mich bei denjenigen, die mit dazu beigetragen haben, dass ich mit der Recherche starten konnte: bei Herrn Rolf Keller für die Tipps zur richtigen Spur am Anfang sowie für die hilfreiche Kommentierung, bei Herrn Hans Jürgen Sonnenberg für die Einweisung in das Archiv Camo in Podolsk sowie für manche guten Hinweise, bei Frau Juliane Hummel für die Lektürehinweise zum Themenbereich Klosterkammer und bei Herrn Heinrich Lustfeld für die Erklärung des Aufbaus des Archivs in Arolsen.

 

Regina Brunschön

1 ) Archiv Arolsen ITS 70793523f

2.) Protokoll des Gesprächs mit W. L., S.1

3.) Protokoll des Gesprächs mit H. Volkewien, S. 2

4.) Protokoll des Gesprächs mit H. Volkwien, S. 1.

5.) siehe Protokoll des Gesprächs mit H. Volkewien, S. 1

6.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 183

7.) siehe Rolf Keller, Sowjetische Kriegsgefangene im Deutschen Reich 1941/42, Göttingen 2001, S.330f

8.) Rolf Keller, a. a. O. S. 330f

9.) Protokoll des Gesprächs mit E. L., S. 1

10.) Protokoll des Gesprächs mit E. L., S. 1

11.) Protokoll des Gesprächs mit E. L., S.1

12.) Protokoll des Gesprächs mit H. Volkewien, S. 2

13.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 183R

14.) siehe NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 190f

15.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 183R

16.) Protokoll des Gesprächs mit W. L., S. 1

17.) Protokoll des Gesprächs mit W. L., S. 1

18.) Protokoll des Gesprächs mit W. L., S. 1

19.) Protokoll des Gesprächs mit W. L., S. 1

20.) siehe Protokoll des Gesprächs mit W. L., S. 2

21.) Archiv Arolsen ITS 70793517

22.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 152

23.) NLA HA Nds. 410, Acc. 66/90 Nr. 4 Bl 1

24.) Christian Hellwig, „Dieser Gefangene ist arbeitsunwillig“, in: Detlef Schmiechen-Ackermann u. a. (Hrsg.), Die Klosterkammer Hannover

         1931 - 1955, Göttingen 2018, S. 571f

25.) Protokoll des Gesprächs mit W. L., S. 2

26.) Protokoll des Gesprächs mit G. A., S. 2

27.) siehe Protokoll des Gesprächs mit G. A., S. 2

28.) Schulaufsatz von Marie Haase 1938

29.) ebenda

30.) Berndt Klaedtke, Michael Thissen (Hrsg.) Feuerwehrchronik FC , 14. Jahrgang, 31. März 2018, Ausgabe 2, Seite 39, abgerufen am 01.

       Juli 2021 unter: FC-2018-02_Layout 1 (fw-chronik.de)

31.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 103

32.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 103

33.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 189

34.) siehe: Rolf Keller, Silke Petri, Sowjetische Kriegsgefangene im Arbeitseinsatz 1941 – 1945, Dokumente zu den Lebens- und

        Arbeitsbedingungen in Norddeutschland, Göttingen 2013, S. 185.

35.) Rolf Keller/Silke Petri, a. a. O. S. 38f

36.) Rolf Keller/Silke Petri, a. a. O. S. 102

37.) Peter-Michael Steinsiek, Zwangsarbeit in den staatlichen Forsten des heutigen Landes

                Niedersachsen 1939 – 1945, Husum 2017, S. 128

38.) NLA HA Hann. 182 Rehburg, Acc. 2008/111 Nr. 6

39.) NLA HA Hann. 182 Rehburg, Acc. 2008/111 Nr. 6, S. 18 der Rede

40.) NLA HA Hann. 182 Rehburg, Acc. 2008/111 Nr. 6, S. 16 der Rede

41.) NLA HA Hann. 182 Rehburg, Acc. 2008/111 Nr. 6, S. 17 der Rede

42.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 147

43) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl.152

44.) Peter-Michael Steinsiek, Zwangsarbeit …a.a.O. S. 62f

45.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 189

46.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 175

47.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 175

48.) NLA HA Hann. 182 Rehburg, Acc. 2008/111 Nr. 6, S. 3f der Rede

49.) NLA HA Hann. 182 Rehburg, Acc. 2008/111 Nr. 6, S. 6f der Rede

50.) NLA HA Hann. 182 Rehburg, Acc. 2008/111 Nr. 6, S. 14 der Rede

51.) NLA HA Nds. 410, Acc. 66/90 Nr. 34, Bl 3

52.) NLA HA Nds. 410, Acc. 66/90 Nr. 34, Bl 19a

53.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 210

54.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl ohne Nummer

55.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 207R

56.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/2, Bl 189

57.) siehe NLA HA Nds. 600 Acc. 2000/001 Nr. 236/2

58.) siehe NLA HA Nds. 600 Acc. 2000/001 Nr. 236/2

59.) siehe NLA HA Nds. 600, Acc. 2000/001 Nr. 236/2

60.) NLA HA Nds. 120 Hannover, Acc. 2003/005 Nr. 14/3, Bl 67

 

61.) Christian Hellwig, a. a. O. S., 569

Heidtorstraße 1
31547 Rehburg-Loccum

Tel.: (0174) 9139598
arbeitskreis@stolpersteine-rehburg-loccum.de

Suchen

Spendenkonto

Arbeitskreis Stolpersteine Rehburg-Loccum
Sparkasse Nienburg
IBAN: DE54 2565 0106 0036 1924 09
BIC: NOLADE21NIB

Kooperationspartner

Weitere Tipps

„Faktencheck zur NS Zeit für Schüler“
www.ns-zeit-hannover.de

Alte Synagoge Petershagen

www.synagoge-petershagen.de

Ehem. Synagoge Stadthagen

www.stadthagen-synagoge.de

Stiftung niedersächsische Gedenkstätten
pogrome1938-niedersachsen.de

Unser Arbeitskreis auf Youtube...

… und auf Facebook

zu unserer Facebook-Seite Stolpersteine Rehburg-Loccum