Alfred Birkenruth, *1894

Am 31. März 1942 nach Warschau deportiert

Todesdatum unbekannt

 

Stolperstein verlegt in:

Rehburg, Mühlentorstraße 26

Alfred Birkenruth wurde am 3. Januar 1894 in Neustadt am Rübenberge als Sohn von Emilie und Julius Birkenruth geboren.
1922 heiratete er die aus Rehburg stammende Erna Löwenstein und zog in ihr Elternhaus in die Adolf-Hitler-Straße 174 in Rehburg. Heute hat das Haus die Anschrift Mühlentorstraße 26. 

Nach seiner Hochzeit betrieb er mit seinem Schwiegervater Jakob Löwenstein in dessen Haus  eine Schlachterei. Alfreds Großvater war in Neustadt am Rübenberge schon Viehhändler gewesen.  Alfred setzte diese Tradition fort.
Das Ehepaar bekam zwei Söhne: Hans Siegfried wurde 1923, sein jüngerer Bruder Walter 1929 geboren.


Im November 1939 zog das Ehepaar nach Nienburg in die Hannoverschestraße 8, wo Alfreds Vater ein Haus besaß. Ihr Sohn Hans Siegfried zog im Februar 1940, Walter im Oktober 1941 ebenfalls dorthin. Beide Söhne hatten zuvor die Israelitische Gartenbauschule in Hannover-Ahlem besucht.


Alfred Birkenruth wurde mit seiner Familie am 31. März 1942 ins Warschauer Ghetto deportiert, wo sie ermordet wurden. Ihre Todestage sind unbekannt.

 

 

Schicksal:

 

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 – der Pogromnacht - kam in Rehburg die SA anmarschiert und verhaftete Alfred Birkenruth, seinen Schwiegervater Jakob Löwenstein sowie die übrigen jüdischen Männer der Gemeinde. Ihre Wohnungen wurden durchsucht, die Synagoge ausgeräumt und das Inventar auf dem Marktplatz verbrannt. Die Männer wurden in das KZ Buchenwald gebracht. Jakob Löwenstein überlebte das KZ nicht. Er wurde erschlagen. Eines Morgens fand Alfred seinen Schwiegervater in dem Konzentrationslager tot mit weiteren Leichen auf nacktem Fußboden.


Nachdem Alfred Ende 1938 aus Buchenwald nach Rehburg zurückkehrte, verkaufte er als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde die Synagoge für 5.000 Reichsmark. Allein die Reparatur der angerichteten Schäden aus der Pogromnacht sollte 8.500 Reichsmark kosten. Diese Summe konnte die Gemeinde nicht aufbringen. Anschließend verließ er mit seiner Familie Rehburg und zog nach Nienburg zu seinem Vater.
Weshalb die Familie nach Nienburg zog, wissen wir nicht, zumal Alfreds Schwiegermutter, Jeanette Löwenstein, in dem Haus in der Mühlentorstraße in Rehburg blieb – nun allein, nachdem ihr Mann Jakob ermordet worden war. Allerdings wissen wir, dass die Familie allerhand Bemühungen angestellt hatte, um fliehen zu können. Ebenso wie Familie Freundlich aus Bad Rehburg hatte Alfreds Familie einen Antrag auf Ausreise nach Chile gestellt, der jedoch im Juni 1939 abgelehnt wurde.

In Nienburg lebte die Familie bis zum 28. März 1942. Wenige Tage zuvor war ihnen eine Verfügung ausgehändigt worden in der stand, dass sie ihre Wohnung nicht mehr verlassen durften. Sie mussten einen Koffer gepackt haben mit Verpflegung für sechs Tage, mussten Bekleidung und Schuhe am Körper tragen. Alle Wertgegenstände waren abzugeben.
Am 28. März 1942 wurden sie abgeholt und zur Israelitischen Gartenbauschule in Ahlem gebracht, die mittlerweile zu einem Sammellager umfunktioniert worden war. Drei Tage später, am 31.März 1942, wurden sie von Hannover in das Warschauer Ghetto deportiert in einem Zug mit 1.000 Menschen.
Dort verliert sich die Spur der Familie Birkenruth. Sie kamen im Warschauer Ghetto ums Leben oder wurden in einem der Vernichtungslager ermordet. Alfred Birkenruth wurde 48 Jahre alt, seine Frau Erna 45 Jahre, ihr ältester Sohn Hans Siegfried 19 Jahre und ihr jüngster Sohn Walter nur zwölf Jahre alt.

 

 

Erinnerungen:

 

Ältere Rehburger, die sich noch an die Zeit des Nationalsozialismus erinnern, konnten uns nichts über Alfred Birkenruth erzählen. Deshalb setzen wir an diese Stelle zwei Briefe, die wir von Alfreds Großnichte aus den USA bekommen haben – als Zeichen dafür, dass auch dann, wenn niemand mehr da ist, der diesen Menschen persönlich kannte, die Erinnerung an ihn und seine Familie nicht ausgelöscht ist.

Alfreds Bruder Hermann flüchtete während der NS-Zeit mit seinen Kindern Edith und Günter aus Neustadt nach England und später in die USA. Judith Birkenruth, die Tochter von Günter, schrieb Ende 2014 aus New York an unseren Arbeitskreis:


„Ich habe versucht, Cousinen zu fragen, ob sie noch mehr Informationen haben. Grundsätzlich haben Sie (die Menschen in Rehburg und Neustadt) mehr Informationen, als jeder von uns in den USA. Auf unserer Reise nach Deutschland im Jahr 2003 haben wir mehr gelernt, mehr als mein Vater in der Lage war, mir zu sagen. Wie Sie wissen, hat er Deutschland verlassen, als er noch sehr jung war, und meine beiden Großeltern sind inzwischen verstorben. Als Kind waren sie sehr zögerlich, von den Familienmitgliedern zu sprechen, die in den Konzentrationslagern ermordet wurde. Sie wollten uns Kindern keine Angst vermitteln. Und als ich alt genug war um zu fragen, waren sie gestorben. Das ist einer der Gründe, warum wir zurückkehrten in unsere Häuser in Deutschland. Die Frau, die uns geholfen hat, war wunderbar. Es war ziemlich lehrreich für uns, was wir über meine Familie und Neustadt erfahren haben. Aber zur gleichen Zeit mussten wir sehen, was die Deutschen uns genommen haben, sowohl in Bezug auf Familienmitglieder, als auch auf Eigentum. Wir verließen schweren Herzens Neustadt; über alle Details, die wir erfuhren, waren wir sehr traurig. Was wir sahen, müssen wir erst verarbeiten. Was unseren Familien angetan wurde, macht es uns sehr schwer, mit einem Dialog fortzufahren. Wir möchten Ihnen für die Ehre der Erinnerung an meinen Großonkel danken.“

 

In einem weiteren Brief schrieb Judith Birkenruth:

 

„Mein Großvater starb, bevor ich ihn kannte. Wie traurig war meine Großmutter, dass sie keine Familienerbstücke mehr für mich hatte. Sie erzählte mir Geschichten über den Schmuck, den sie mir und meinen Kindern hätte hinterlassen wollen, immer weinend über das, was ihrer Familie geschah. Als Kind bin ich viele Nächte aufgewacht als ich sie schreiend in ihren Träumen hörte, sie schrie etwas auf Deutsch über Hitler und die Nazis. Am nächsten Morgen hat sie nicht darüber geredet.
Mögen die Stolpersteine dazu beitragen, an die Familie Birkenruth und ihr Schicksal zu erinnern. Mögen Sie Mahnung sein an künftige Generationen: Seid wachsam, damit sich solche Tragödien niemals wiederholen.“

Quellen:

Gerd-Jürgen Groß, ‚Sie lebten nebenan’, Erinnerungsbuch für die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933 – 1945 deportierten und ermordeten jüdischen Frauen, Männer und Kinder aus dem Landkreis Nienburg/Weser

Hinterlassene Unterlagen von Heinz Hortian, Rehburg

Kreisarchiv Nienburg

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen

Briefe Judith Birkenruth

Zeitzeugen

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