Walter Birkenruth, *1929

Am 31. März 1942 nach Warschau deportiert

Todestag unbekannt

 

Stolperstein verlegt in:

Rehburg, Mühlentorstraße 26

Walter Birkenruth wurde am 21. Oktober 1929 als zweites Kind von Alfred und Erna Birkenruth in Rehburg geboren. Die Familie, zu der noch sein sechs Jahre älterer Bruder Hans Siegfried gehörte, lebte bis 1939 bei den Großeltern Jakob und Jeanette Löwenstein in der Mühlentorstraße 26 – zu damaliger Zeit Adolf-Hitlerstraße 174.

 

Vermutlich im Mai 1939 zog Walters Familie nach Nienburg in die Hannoverschestraße 8, wo sein Großvater väterlicherseits ein Haus besaß.

 

Walter wurde mit seiner Familie am 31. März 1942 ins Ghetto von Warschau deportiert, wo er ermordet wurde. Sein Todestag ist unbekannt – wie auch die Todestage seiner Eltern und seines Bruders.

 

 

Familie:

 

Walter Birkenruths Vater Alfred stammte aus Bordenau (Neustadt am Rübenberge) und zog nach Rehburg, nachdem er Walters Mutter Erna, geborene Löwenstein, geheiratet hatte. Die Familie Löwenstein war alteingesessen in Rehburg. Auf dem Friedhof am Ort sind etliche Vorfahren Walters aus diesem Familienzweig beerdigt worden.

 

Walters Vater Alfred verdiente den Lebensunterhalt für die Familie laut dem, was uns ältere Rehburger erzählten, mit Viehhandel. In einer alten Rehburger Schülerliste steht als Beruf seines Vaters hinter dem Namen von Walters Bruder Hans Siegfried ‚Fleischer’.

 

 

Schicksal:

 

Nachdem Walters Vater und sein Großvater Jakob Löwenstein nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 nach Buchenwald deportiert worden waren und nur sein Vater nach einigen Wochen von dort zurückkam – sein Großvater überlebte nicht und wurde in Buchenwald vermutlich erschlagen – zog die Familie im Mai 1939 nach Nienburg in ein Haus, das Walters Großvater Julius Birkenruth gehörte. Walter war zu diesem Zeitpunkt neun Jahre alt.

 

Drei Jahre später – Walter war mittlerweile zwölf Jahre alt – wurden er und seine Familie am 31. März 1942 in das Ghetto Warschau deportiert. Sein Großvater Julius Birkenruth kam rund vier Monate später in das ‚Alters-Ghetto’ Theresienstadt – in dem Zug, der am 23. Juli 1942 von Hannover-Ahlem startete, war auch Walters Großmutter mütterlicherseits, Jeanette Löwenstein. Keiner von ihnen hat überlebt.

 

 

Erinnerungen:

Wir wissen nicht viel über diesen Jungen Walter, der bis zum Alter von neun Jahren in Rehburg lebte. Ein Rehburger (Jahrgang 1929) erinnert sich an eine Begebenheit. Damals, erzählt er, mussten die Jugendlichen sich auf Anordnung Propaganda-Filme ansehen. „’Jud Süß’ und solche Sachen.“ Das Kino befand sich in einem Saal in Rehburgs Heidtorstraße, direkt gegenüber dem Haus, in dem die Tante von Walter, Frieda Schmidt, gemeinsam mit ihrem Mann Heinrich und Sohn Heinz lebte.

„Als wir aus dem Kino kamen, da standen der Walter und der Heinz auf der anderen Straßenseite“, erzählt der Rehburger, „und dann haben sich einige von den Jungen den Walter gegriffen und ihn verprügelt.“ Walters Cousin Heinz hätten die Jungen in Ruhe gelassen – warum, weiß der Rehburger nicht. Vielleicht, weil Heinz Vater ein ‚Arier’ war? Wie er selbst damals - im Alter von weniger als zehn Jahren - reagiert hat, weiß er ebenfalls nicht mehr. „Vielleicht bin ich weggegangen, weil ich das nicht sehen wollte.“ In sein Gedächtnis hat sich dieser Übergriff aber tief eingeprägt.

 

Was wir von Walter gefunden haben, ist ein Klassenfoto von 1936. Einige der Zeitzeugen haben uns bestätigt, dass der Junge mit den großen Augen, der vorne in der Mitte in kurzen Hosen und mit langen Strümpfen sitzt und die Beine schräg gelegt hat, Walter ist.

Damals war er sieben Jahre alt und durfte noch die Schule in Rehburg besuchen. Das änderte sich nach der Pogromnacht vom 9. November 1938. Nach dieser Nacht wurden nicht nur Walters Vater und sein Großvater in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert, sondern Walter auch der weitere Besuch der Schule in Rehburg verboten.

In der Rehburger Schule existiert noch ein Buch mit dem Verzeichnis der Schulabgänger aus jener Zeit. Hinter Walters Namen steht der Vermerk „Entlassen am 10.11.38 (Jud...)“.

 

Am 15. November 1938 verfügte das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, dass Juden mit sofortiger Wirkung der Besuch deutscher Schulen nicht mehr gestattet sei. Walter, dem der Schulbesuch in Rehburg nun verwehrt war, besuchte ab Februar 1939 die jüdische Schule in Ahlem bei Hannover, an der sein sechs Jahre älterer Bruder Hans Siegfried bereits seit 1937 lernte.

Für Walter soll es sehr schwer gewesen sein, sich in Ahlem einzugewöhnen. Er weine viel, teilte eine Kindergärtnerin nach einigen Wochen seinen Eltern mit. Zu diesem Zeitpunkt hatte Walter bereits miterlebt, wie in der Pogromnacht ihr Haus durchsucht, die Synagoge geschändet, sein Vater und sein Großvater ins Konzentrationslager verschleppt, sein Großvater dort ermordet wurde und er nicht mehr gemeinsam mit allen anderen zur Schule gehen durfte – das alles im Alter von neun Jahren.
Seine Eltern suchten ungefähr zu diesem Zeitpunkt nach Wegen, das Land mit den Kindern verlassen zu können. England, die USA und Chile waren Ziele, die sie ins Auge gefasst hatten. Wie wir heute wissen, ist keiner dieser Versuche gelungen. Drei Jahre später wurde die gesamte Familie nach Warschau deportiert und dort ermordet.

Auf diesem Klassenfoto von 1936 ist Walter Birkenruth noch inmitten seiner Mitschüler. -- Zum Vergrößern auf das Bild klicken
Auf diesem Klassenfoto von 1936 ist Walter Birkenruth noch inmitten seiner Mitschüler. -- Zum Vergrößern auf das Bild klicken

Quellen:

Gerd-Jürgen Groß, ‚Sie lebten nebenan’, Erinnerungsbuch für die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft 1933 – 1945 deportierten und ermordeten jüdischen Frauen, Männer und Kinder aus dem Landkreis Nienburg/Weser

Hinterlassene Unterlagen von Heinz Hortian, Rehburg

Kreisarchiv Nienburg

Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen

Archiv der Grundschule Rehburg

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