Betty Hammerschlag, *1912

1938 nach Argentinien geflohen

Stolperstein:
Mühlentorstraße 25, Rehburg

Betty im Jahr 1937
Betty im Jahr 1937
Familie:

 

Betty Hammerschlag wurde am 1. Dezember 1912 in Naumburg (Kassel) als Betty Wertheim geboren und starb am 19. Mai 1994 in der Siedlung Moises Ville in Argentinien, wohin sie 1938 mit ihrem Mann, dessen Vater und dessen Geschwistern geflohen war.


Am 17. November 1937 heiratete sie den aus Rehburg stammenden Julius Hammerschlag und zog zu ihm in dessen väterliches Haus, das heute die Adresse Mühlentorstraße 25 in Rehburg hat.


In Argentinien bekam sie gemeinsam mit ihrem Mann Julius drei Kinder: Jose, Arnoldo und Belkis.


Wenn in Betty Hammerschlags Pass auch der Vorname „Betty“ eingetragen ist und dieser auch auf dem Stolperstein steht, der vor ihrer letzten freiwillig gewählten Wohnstätte in Deutschland liegt, so wurde sie doch nur „Berny“ gerufen. Diesen Kosenamen verwenden wir deshalb im folgenden Text zu ihrem Leben und Schicksal.

Bettys Reisepass
Bettys Reisepass
Erinnerungen:

 

Erinnerungen älterer Rehburger an die Familie Hammerschlag gibt es kaum noch, Erinnerungen an Berny Hammerschlag hat uns niemand erzählen können. Das liegt vermutlich daran, dass Berny lediglich ein Jahr in Rehburg lebte, bevor sie mit ihrem Mann floh.


Direkt vor ihrer Flucht 1938 soll die Familie Hammerschlag im Bürgersaal des Rehburger Raths-Kellers das Inventar ihres Hauses verkauft haben – das erzählte uns ein Rehburger. Auch erinnerte er sich daran, dass sie Möbel, Reitsättel und Pferdegeschirr in zwei Lkw mitgenommen haben.

 

 

Schicksal:

 

Noch vor der Pogromnacht hatte die Familie Hammerschlag erkannt, wie gefährlich die Situation für die Juden in Deutschland war, und vermutet, dass die Lage noch schwieriger werden würde – so schwierig, dass sie es vorzog, weit fort zu fliehen.

Die ‚Jewish Colonization Association’ (JCA) bot ihnen die Chance zur Flucht in eine ihrer Kolonien in Argentinien an. Der aus Bayern stammende Baron von Hirsch hatte 1891 die JCA, eine jüdische Siedler–Vereinigung, gegründet. Mit einem Teil seines Vermögens gründete Baron von Hirsch 21 Kolonien in Argentinien zur Ansiedlung russischer Juden. Diese Möglichkeit konnten auch deutsche Juden während der Nazizeit nutzen.

Nachdem Bernys Schwiegervater Salomon sein Haus in Rehburg verkauft hatte, fuhr die Familie nach Hamburg: Berny, ihr Mann Julius, ihr Schwiegervater Salomon und dessen Tochter Selma, sowie auch dessen Tochter Frieda und deren Mann Max Simon, die kurzzeitig von Uchte nach Rehburg gezogen waren. Von Hamburg aus ging es mit dem Schiff „Monte Olivia“ in Richtung Argentinien. Am 22. März 1938 lief das Schiff in den Hafen von Buenos Aires ein. Von dort aus ging es weiter in die argentinische Pampa. Dort lebte Berny Hammerschlag bis zu ihrem Tod am 19. Mai 1994.

Dieses Foto zeigt Julius und Berny Hammerschlag gemeinsam mit ihren drei Kindern. Es wurde 1952 in Argentinien aufgenommen.
Dieses Foto zeigt Julius und Berny Hammerschlag gemeinsam mit ihren drei Kindern. Es wurde 1952 in Argentinien aufgenommen.

Was aber hat die Familie Hammerschlag bewogen, bereits 1938 alles hinter sich zu lassen, was sie sich in Rehburg aufgebaut hatte? Ein Grund waren sicherlich die ständig anwachsenden Anfeindungen und Repressalien, denen Juden in Deutschland ausgesetzt waren. Ganz konkret und so, dass sie davon in ihrer Existenz bedroht wurde, bekam die Familie den Antisemitismus zu spüren, als das Kloster Loccum die Handelsbeziehungen zu ihnen kündigte.

Jose Hammerschlag – Sohn von Berny – hat uns dazu eine Geschichte erzählt, die seine Eltern ihm berichteten. Und zwar sei Ende 1936 oder auch Anfang 1937 eines Freitagabends ein Bediensteter des Klosters zu seiner Familie nach Rehburg gekommen.
Der Tisch sei wegen des beginnenden Sabbat festlich gedeckt gewesen, die Kerzen eben entzündet, die Familie versammelt, schreibt Jose Hammerschlag, als der Mann aus dem Kloster ihnen mitteilte, dass die Geschäftsbeziehungen miteinander aufgekündigt seien „wegen der Vorschriften von oben“. Es täte ihm leid und er hoffe, dass das alles bald vorbei sei.
Das sei jedoch nicht geschehen und sein Großvater Salomon habe daraus den Schluss gezogen, mit seiner Familie auswandern zu müssen.

Das Kloster Loccum war einer der größten – wenn nicht der größte – Abnehmer der Fleisch- und Wurstwaren der Familie Hammerschlag. Rund 200 Jahre, sagte uns Jose Hammerschlag, hätten die Geschäftsbeziehungen angedauert. Und wurden nun gekündigt.

Unterlagen im Kloster besagen, dass bereits 1930 – also drei Jahre vor der Machtübernahme durch die Nazis - Vikare im Predigerseminar des Klosters gegen Fleisch-Lieferungen von einem Juden bei ihrem Abt protestierten. Zum einen gehe es nicht an, dass das Loccumer Kloster Lieferungen aus Rehburg erhalte, wo doch im Dorf Loccum ein guter Fleischer ansässig sei, ist dort verzeichnet. Zum anderen könnten die Geschäftsbeziehungen zwischen dem Kloster und einem Juden propagandistisch gegen das Kloster verwendet werden.
Der Abt entschied sich seinerzeit für einen Kompromiss: die Hälfte der Lieferungen kam künftig vom Loccumer Fleischer, die andere Hälfte durfte die Familie Hammerschlag nach Loccum bringen. 1936/37 wurde der Vertrag endgültig gekündigt.

Wie es seinen Eltern in Argentinien ergangen ist, hat uns ebenfalls Bernys Sohn Jose Hammerschlag geschrieben:


„Im März 1938 kamen meine Eltern in Buenos Aires an, und ein paar Tage später wurden sie – mit anderen Immigranten – nach der Kolonie Moises Ville geschickt, 650 km von Buenos Aires entfernt.
Dort bekamen sie ein Stück Land, 75 Hektar groß, ein paar Kühe, Pferde, Arbeitsgeräte, und ein sehr primitives kleines Haus. Das Haus war aus Ziegeln und von innen mit Lehm bestrichen. Das Dach aus Blech, kein fließendes Wasser, Elektrizität oder Sanitäreinrichtungen im Haus.
Aber dies alles konnte nicht das Glücksgefühl trüben – sich von den Schauern Europas gerettet zu haben. Aber dieses Glück war natürlich beschattet von dem schrecklichen Gefühl, die Lieben der Familie nicht retten zu können!
Die Eltern meiner Mutter fanden ihr tragisches Ende in Auschwitz.
Das Leben war hart in der argentinischen Landwirtschaft, und überhaupt – ohne die Sprache zu können, welche sie bis zum Ende ihres Lebens kaum sprechen lernten…Sie lebten immer weiter wie Immigranten, obgleich sie mit den Jahren sich heraufarbeiteten und es ihnen wirtschaftlich besser ging.
Zusammen mit den ganzen Schwierigkeiten, gelang es ihnen die Familie groß zu ziehen, und den Kindern wichtige Werte, (jüdische sowie universelle) beizubringen. Darum sind wir ihnen zutiefst dankbar.
In vielen Momenten versuchten sie, uns von ihrer Vergangenheit zu erzählen, über ein Deutschland welches sie betrogen hat, und Schlimmes angetan hat.
Aber doch, hingen sie an den schönen Erinnerungen von dort.
Erst die dort geborene Generation (in Argentinien geboren) hatte eine leichtere Anpassung an das neue Land. Oft begleitet uns aber ein Zweifel unserer Identität. Wir fragen uns "wer wir eigentlich sind", abgesehen von unserer Identität und dem Kompromiss mit dem Lande Israel – oder mit Argentinien.
Rehburg, Loccum, Bad Rehburg, Uchte, Stolzenau, und viele andere Plätze wurden oft genannt – bei meinem Vater und seinen Schwestern.“

Das Ehepaar Berny und Julius Hammerschlag bekam in Argentinien drei Kinder: Jose, Arnoldo und Belkis. Jose lebt mit seiner Frau Evelyn, Arnoldo mit seiner Frau Esther in Israel. Belkis lebt in Argentinien. Einmal noch sind Julius und Berny zurückgekehrt nach Deutschland. Drei Tage verbrachten sie 1973 in dem Ort, den sie sich eigentlich als Heimat gewünscht hätten.

Am 27. November 2015 sind vor dem Haus Mühlentorstraße 25 in Rehburg Stolpersteine für Salomon Hammerschlag, seine Tochter Selma, Sohn Julius und dessen Ehefrau Berny verlegt worden. Zur Verlegung ist Bernys Sohn Jose Hammerschlag aus Israel gemeinsam mit seiner Frau Evelyn und ihren drei Söhnen Ruben, Ariel und Yair zu Besuch gekommen.

Quellen:

Hinterlassene Unterlagen von Heinz Hortian, Rehburg

Kreisarchiv Nienburg

Erinnerungen von Rehburgern und Jose Hammerschlag

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